§ 1117 ABGB – Rettungsanker für Bestandnehmer eines erfolglosen Shoppingcenters?

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Im vergangenen Jahrzehnt hat die Dichte an Einkaufs- und Fachmarktzentren auf der grünen Wiese österreichweit stark zugenommen. Abseits der damit einherge-henden Bodenversiegelung und Verödung der Ortskerne erweist sich die Inbestandnahme von Geschäftsräumlichkeiten in Einkaufs- und Fachmarktzentren mitunter als wirtschaftliches Fiasko, wenn die vom Bestandnehmer erwartete Geschäftsentwicklung ausbleibt.


Um den wirtschaftlichen Verlust in Grenzen zu halten, drängt sich für Bestandnehmer von solchen Geschäftsräumlichkeiten naturgemäß die Frage auf, ob der geschlossene Bestandvertrag allenfalls vorzeitig beendet werden kann; ohne dass man auf das Entgegenkommen des Bestandgebers angewiesen ist. Immerhin hat man die Geschäftsräumlichkeiten nicht zuletzt deswegen teuer in Bestand genommen, weil man sich angesichts des gemeinsamen Marketings und der vermuteten Attraktivität des Einkaufs- oder Fachmarktzentrums eine stärkere Kundenfrequenz als an sonstigen Geschäftsstandorten erwarten durfte.

Ist der Bestandvertrag auf bestimmte Zeit abgeschlossen und sieht dieser keine (passende) Kündigungsmöglichkeit vor oder hat der Bestandnehmer auf die Kündigung des Miet-verhältnisses verzichtet, könnte sich eine einseitige Auflösung und (vorzeitige) Beendigung des Bestandvertrages als schwierig bis unmöglich herausstellen. In Einzelfällen hat die Rechtsprechung Bestandnehmern solcher Geschäftsräumlichkeiten jedoch das Recht zur außerordentlichen Kündigung des Bestandvertrages gemäß § 1117 ABGB zuerkannt, wenn berechtigte Erwartungen des Bestandnehmers in die Geschäftsentwicklung nicht erfüllt werden.

§ 1117 ABGB normiert den allgemeinen Grundsatz über die Möglichkeit der sofortigen (fristlosen), von der vereinbarten Vertragslaufzeit unabhängigen und ex nunc wirkenden Beendigung eines Bestandverhältnisses aus wichtigem Grund. Der wichtige Grund, der dem Bestandnehmer die Fortsetzung des Bestandverhältnisses unzumutbar macht und diesen daher zur Auflösung des Bestandvertrages berechtigt, ist nach § 1117 ABGB die Untauglichkeit des Bestandobjektes zum bedungenen Gebrauch. Unerheblich ist dabei, ob die Untauglichkeit des Bestandobjektes vom Bestandgeber verschuldet bzw. zu vertreten ist oder auf Zufall beruht.

Der Auflösungsgrund gemäß § 1117 ABGB kann nicht nur durch einen Sach- oder Rechtsmangel am Bestandobjekt selbst (z.B. durch Vorliegen von bautechnischen Mängeln, fehlende behördliche Bewilligungen, etc.), sondern auch durch Fälle realisiert werden, die auf eine nachträgliche Änderung der bei Vertragsabschluss bestehenden Umstände oder auf Störungen von außen zurückzuführen sind. So hat der OGH in einzelnen Fällen dem Bestandnehmer ein Auflösungsrecht gemäß § 1117 ABGB zuerkannt, wenn z.B. (i) der Bestandgeber in unmittelbarer Nähe des Bestandobjektes ein Konkurrenzunternehmen des Bestandnehmers eröffnet und betrieben hat oder (ii) bei einem Bestandvertrag über ein Bestandobjekt in einem Einkaufszentrum die erwartete Kundenfrequenz ausgeblieben ist, oder (iii) es infolge behördlicher Verfügungen zu einem Umsatzeinbruch auf Seiten des Bestandnehmers gekommen ist.
Aus dieser Rechtsprechung könnten sich insbesondere die folgenden Argumente für die Auflösung eines Bestandvertrages über Geschäftsräumlichkeiten in Einkaufs- oder Fachmarktzentren gewinnen lassen:

  • Ein Einkaufs- oder Fachmarktzentrum ist dadurch gekennzeichnet, dass den Kunden die Waren und Leistungen einer großen Zahl von Branchen „unter einem Dach“ sowie die Möglichkeit angeboten werden, in einem Zug ihre verschiedenen wirtschaftlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Der Erfolg eines Einkaufs- oder Fachmarktzentrums ist daher maßgeblich davon abhängig, dass für einen attraktiven „Branchenmix“ erforderliche Geschäftszweige vertreten sind.
  • Bestandverträge über Geschäftsräumlichkeiten eines Einkaufs- oder Fachmarktzentrums sollen den Bestandnehmern nicht nur den Vorteil der bereitgestellten Räume, sondern auch den Vorteil der Existenz und des good will des Einkaufs- oder Fachmarktzentrums insgesamt verschaffen, zumal viele Kunden ein Einkaufs- oder Fachmarktzentrum nur deshalb frequentieren, weil sie im Zuge ihres Einkaufes bei einem Bestandnehmer auch andere Besorgungen erledigen können.
  • Treten in Bezug auf die vorgenannten Aspekte Störungen auf, z.B. weil (i) das Ein-kaufs- oder Fachmarktzentrum dauerhafte oder umfangreiche Leerstehungen von Geschäftsräumlichkeiten aufweist, (ii) das Einkaufs- oder Fachmarktzentrum oder dessen Standort nicht die erforderliche Kundenfrequenz erzeugt oder (iii) es an der erforderlichen Attraktivität des dort vertretenen Branchenmix fehlt, kann dies – abhängig von den Umständen des Einzelfalls – die Auflösung des Bestandvertrages aus wichtigem Grund gemäß § 1117 ABGB rechtfertigen.

Zu beachten ist jedoch, dass bei der Beurteilung des Vorliegens eines wichtigen Grundes gemäß § 1117 ABGB nach ständiger Rechtsprechung eine umfassende Abwägung des Bestandinteresses des Bestandgebers einerseits und des Auflösungsinteresses des Bestandnehmers andererseits vorzunehmen ist. Zudem ist für die Beurteilung einer Kündigungsmöglichkeit gemäß § 1117 ABGB essentiell, dass die bisherige höchstgerichtliche Rechtsprechung die vorzeitige Auflösung eines Bestandvertrages wegen enttäuschter Erwartung einer erfreulichen Geschäftsentwicklung bei Vorliegen einer Geschäftsraummiete – anders als im Falle einer Unternehmenspacht – nicht oder nur sehr eingeschränkt zugelassen hat.
Dies liegt darin begründet, dass die Gewährleistung eines Vermieters von Geschäftsräumlichkeiten – mangels gegenteiliger Bestimmungen im Bestandvertrag – nicht so weit geht, dass der Mieter dadurch generell von jeglichem Unternehmerrisiko befreit ist. Auch sind die bei Vertragsabschluss nicht einschätzbaren Auswirkungen des am freien Markt übli-chen Konkurrenzkampfes und die enttäuschte Erwartung einer erfreulichen Geschäftsentwicklung nach Ansicht der Rechtsprechung dem Unternehmerrisiko des Mieters zuzuordnen. Zudem schließt dieses Unternehmerrisiko bei freier Marktwirtschaft ein spekulatives Element mit ein, dessen Folgen – ohne gegenteilige Bestimmungen im Mietvertrag – auf den Vermieter nicht überwälzt werden können.

Unabhängig von der Wertung eines Bestandvertrages als Geschäftsraummiete oder Unternehmenspacht können nach Ansicht der Rechtsprechung zudem Umstände, mit welchen schon bei Abschluss des Vertrages gerechnet werden konnte, oder die dem Bestandnehmer bei Vertragsabschluss bekannt waren oder diesem bekannt sein mussten und von diesem in Kauf genommen wurden, oder welchen sogar durch eine entsprechende Vertragsgestaltung Rechnung getragen wurde, keinen hinreichenden Grund für eine außerordentliche Kündigung gemäß § 1117 ABGB darstellen.

Im Zusammenhang mit einer Unternehmenspacht (mit vereinbarter Betriebspflicht) hat der Oberste Gerichtshof in seinen Entscheidungen 6Ob59/00w und 5Ob257/05p jedoch ausgesprochen, dass jene Aspekte, die im Wesentlichen die Attraktivität eines Einkaufszentrums ausmachen, als Geschäftsgrundlage bei Abschluss des Bestandvertrages zu werten sind. Treten dann nachträglich Umstände (z.B. massive Leerstehungen) auf, die dem Einkaufszentrum diese Attraktivität entziehen, und musste der Bestandnehmer mit dem Eintritt dieser Umstände nicht rechnen, können diese den Bestandnehmer nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 1117 ABGB be-rechtigen.
Die allein auf § 1117 ABGB gestützte Auflösung des Bestandvertrages durch den Be-standnehmer ist daher – abhängig von den Bestimmungen des Bestandvertrages – mit erheblichen Risiken hinsichtlich der gerichtlichen Durchsetzbarkeit verbunden. Bestandnehmern von Geschäftsräumlichkeiten eines Einkaufs- oder Fachmarktzentrums ist daher anzuraten, schon bei Errichtung des Bestandvertrages (z.B. durch Einfügung von Kündigungsbestimmungen) dafür Sorge zu tragen, dass der Bestandvertrag bei Ausbleiben einer bestimmten Geschäftsentwicklung des Standortes durch den Bestandnehmer beendet werden kann.

Matthias Nödl