Aufklärungspflicht der Baubehörde

© Martin Kozcy

Die Gemeinden verfehlen im Bauwesen regelmäßig ihre zentrale Aufgabe, Bauwerber über potenzielle Gefahren aufzuklären, die für ihr Bauvorhaben ausgehend von Hochwasser, Lawinen oder Hangrutschungen schlagend werden können – ein Missstand, der nicht nur für den betroffenen Bauwerber unangenehme Folgen haben kann.

Hochwasser, Lawinen oder Hangrutschungen sind oft nicht vorhersehbare Gefahren für Hab und Gut. Nicht selten werden diese Gefahren ignoriert oder zumindest unterschätzt. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass Behörden ihrer Aufklärungspflicht nicht oder nicht ausreichend nachkommen.

Aufgabenspektrum als Baubehörde

Im Brennpunkt stehen dabei besonders die Gemeinden in ihrer Eigenschaft als Baubehörde. In dieser Funktion steht den Gemeinden eine Fülle an Daten, Informationen und Unterlagen zur Verfügung. Oft fehlt es den Gemeinden in Zeiten der Sparpakete aber an technischen und personellen Ressourcen, um diese Fülle an Daten, Informationen und Unterlagen im Interesse des Bürgers aufarbeiten und verwerten zu können. Das Gemeindeamt hat sich als serviceorientierte Einrichtung für den informationsbedürftigen Bürger daher bislang nicht etabliert.

Dies liegt auch daran, dass die Gemeinden ihr Aufgabenspektrum als Baubehörde häufig fehlinterpretieren. Für einen Bürger, der ein Bauvorhaben realisieren will, kann sich das ruinös auswirken; vor allem wenn ihm die Gemeinde die Informationen vorenthält, die zur richtigen Einschätzung von Gefahren ausgehend von Hochwasser, Lawinen oder Hangrutschungen erforderlich sind. Häufig sind diese Gefahren aus Flächenwidmungsplan, Gefahrenzonenplan, Wasserbuch oder sonstigen öffentlichen Informationsquellen nicht ersichtlich, z. B. weil bei Erstellung oderÄnderung dieser Unterlagen Fehler passiert oder die zugrunde liegenden Daten nicht mehr aktuell sind.

Was sollte ein Bauherr tun?

Wie kann ein Bauherr in solchen Fällen vor Realisierung eines Bauvorhabens aber sichergehen, ob das Bauvorhaben entsprechenden Gefahren ausgesetzt ist, ohne selbst kostspielige Recherchen über die potenzielle Gefährdung (z. B. durch Einholung von wasser oder geotechnischen Gutachten) anzustellen? – Der Bauherr wird wohl aktiv an die Baubehörde herantreten und von dieser eine sachgerechte und umfassende Aufklärung über das Gefahrenpotenzial verlangen müssen.

Dies empfiehlt sich allein schon aufgrund der bisherigen Rechtsprechung. Die Gerichtsbarkeit hatte sich in der Vergangenheit nämlich schon wiederholt mit der Frage auseinanderzusetzen, ob und inwieweit die Baubehörde verpflichtet ist, den Bauherrn vor Bewilligung eines Bauvorhabens über die Gefahren aufzuklären, die für das Bauvorhaben von Hochwasser, Lawinen und Hangrutschungen ausgehen – besonders wenn sich die Gefahren durch Vorschreibung von Auflagen oder nötigenfalls durch Versagung der Baubewilligung verhindern oder zumindest beschränken lassen.

Dass solche Fälle vermehrt vor Gericht landen, liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Baubehörde nach der gängigen Praxis im Baubewilligungsverfahren darauf beschränkt, die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit den jeweiligen Bau und Bebauungsvorschriften zu überprüfen und allenfalls noch Anrainerrechte wahrzunehmen. Dies ist jedenfalls zu wenig, wenn die Gefahren für das Bauvorhaben durch Hochwasser, Lawinen und Hangrutschungen aus öffentlichen Informationsquellen (z. B. Flächenwidmungsplan, Gefahrenzonenplan etc.) nicht ersichtlich sind.

Leitentscheidung des OGH

So ist es in einem Fall geschehen, mit dem sich der OGH zur Aktenzahl 1 Ob 178/06t eingehend befasst hat. Ein Bauherr plante ein Bauvorhaben. Keine der bekannten Informationsquellen (Flächenwidmungsplan, Gefahrenzonenplan oder Wasserbuch etc.) ließen eine potenzielle Hochwassergefährdung des Baugrundes erkennen. Die Baubehörde vertraute auf diesen Umstand und genehmigte die Umwidmung des Grundes von Grünland in BaulandWohngebiet, erklärte den Grund zum Bauplatz und bewilligte das Bauvorhaben, weil es den einschlägigen Bau und Bebauungsbestimmungen entsprach. Das Bauvorhaben wurde umgesetzt. Nach Fertigstellung des Bauvorhabens wurde das errichtete Bauwerk durch ein Hochwasser beschädigt. Der Bauherr hat die Gemeinde als Baubehörde daraufhin mit Schadenersatzansprüchen konfrontiert, die der OGH dem Grunde nach auch zugestanden hat.

Flächenwidmung, Bauplatzerklärung, Baubewilligung

Wie in diesem Fall verfehlt die gängige Praxis der Gemeinden nicht selten den Zweck, den die Rechtsprechung dem Baubewilligungsverfahren zugedacht hat. Oft sind die Gemeindevertreter der falschen Meinung, der Zweck des Baubewilligungsverfahrens würde sich darauf beschränken, die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit den einschlägigen Bau und Bebauungsbestimmungen zu prüfen. Verfehlt ist auch der oft vertretene Standpunkt, dass das Baubewilligungsverfahren primär der Wahrnehmung von Anrainerrechten dient.

Tatsächlich ist aber vorrangiger Zweck des Baubewilligungsverfahrens – man höre und staune – der Schutz des Bauherrn und der künftigen Besitzer des projektierten Bauwerks vor Personen, Sachund Vermögensschäden im Zusammenhang mit der Errichtung und der Nutzung des Bauwerks.

Gemeint sind dabei solche Schäden, die dem Bauherrn im Vertrauen darauf erwachsen, dass der Ausführung des Bauvorhabens im Sinne der Baubewilligung keine öffentlichrechtlichen Hindernisse entgegenstehen. Auch die Gefahr von Hochwasser, Lawinen und Hangrutschungen stellt ein solches öffentlichrechtliches Hindernis dar.

Vertrauensschutz

Ist ein Grundstück im Flächenwidmungsplan als BaulandWohngebiet gewidmet und erteilt die Baubehörde eine Bauplatzbewilligung sowie auch eine Baubewilligung, darf der Bauherr darauf vertrauen, dass das Grundstück für eine zweckmäßige Bebauung geeignet ist und gefahrlos bebaut werden kann. Der Bauherr darf in solchen Fällen auch darauf vertrauen, dass sein Bauwerk keiner Gefährdung durch Hochwasser, Lawinen oder Hangrutschungen ausgesetzt ist, es sei denn, der Bauherr wird von der Baubehörde über eine entsprechende Gefährdung aufgeklärt.

Die Rechtsprechung begründet diesen Vertrauensschutz desBauherrn unter anderem damit, dass der Erstellung und Änderung des Flächenwidmungsplans durch die Gemeinde eine umfassende Grundlagenforschung durch qualifizierte Sachverständige vorauszugehen hat. Im Rahmen dieser Grundlagenforschung ist insbesondere zu klären, ob ein Grundstück ausgehend von seinen natürlichen Voraussetzungen gefahrlos bebaut werden kann – was bei Hochwassergefahr, Lawinengefahr und Gefahr von Hangrutschungen naturgemäß nicht der Fall ist. In diesen Fällen dürfte ein Grundstück als Ergebnis der Grundlagenforschung nie als Bauland gewidmet werden.

Auch im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens hat die Baubehörde entsprechende Erhebungen anzustellen und nötigenfalls gefahrmindernde Auflagen vorzuschreiben oder gar eine Bausperre zu verhängen. Baulandwidmung, Bauplatzerklärung und Baubewilligung erwecken also regelmäßig den Anschein der gefahrlosen Bebaubarkeit des Baugrundes bzw. der gefahrlosen Nutzbarkeit des bewilligten Bauwerks.

Aufklärung durch Baubehörde

Der Bauherr ist deshalb – nach der Rechtssprechung auch wenn er sachkundig beraten ist – häufig darauf angewiesen, dass ihn die Baubehörde über vorhandene oder allenfalls erst später erkannte Gefahren aufklärt, die aus der Baulandwidmung, der Bauplatzerklärung oder der Baubewilligung nicht ersichtlich sind. Besonders wenn die Grundlagenforschung für die Erstellungoder Änderung des Flächenwidmungsplans mangelhaft geblieben oder nicht mehr aktuell ist, ist die Baubehörde verpflichtet, den Bauherrn umfassend über das Gefahrenpotenzial aufzuklären.

Die Baubehörde ist daher zentral dafür verantwortlich, neben den Interessen der Allgemeinheit (z. B. der Anrainer) auch die für den Bauherrn oft nicht überschaubaren bzw. vorhersehbaren Risiken zu berücksichtigen, welchen das Bauvorhaben durch Hochwasser, Lawinen und Hangrutschungen ausgesetzt sein kann. Der Bauherr wird dabei von der Rechtsprechung als besonders schutzwürdig angesehen; ein Umstand, der es der Baubehörde gebietet, von Amts wegen die mögliche Gefährdung des Bauvorhabens zu erheben und den Bauherrn umfassend darüber aufzuklären. Unterlässt die Baubehörde eine entsprechende Aufklärung des Bauherrn schuldhaft, haftet die Gemeinde für den Schaden, der allenfalls später durch Hochwasser, Lawinen oder Hangrutschungen am Bauwerk eintritt – jeweils vorausgesetzt die Aufklärung hätte den Schaden vermieden.

Erhält z. B. der für Bausachen zuständige Sachbearbeiter einer Gemeinde aufgrund eines informellen Gesprächs mit einem wassertechnischen Sachverständigen Informationen, wonach ein Bauvorhaben hochwassergefährdet ist, hat der Bürgermeister den Bauherrn über die mögliche Gefährdung des Bauvorhabens umfassend aufzuklären. Unterlässt er dies – z. B. weil der Sachbearbeiter diese Informationen an den Bürgermeister nicht weiterleitet und dem Bürgermeister die potenzielle Gefährdung des Bauvorhabens nicht bekannt ist –, haftet die Gemeinde für den Schaden, der dem Bauherrn dadurch allenfalls entsteht.

Freilich, wer trotz Kenntnis der Gefahren baut, hat keinen Ersatzanspruch. Auch kommt ein Mitverschulden des Bauherrn in Betracht, wenn dem Bauherrn das Gefahrenpotenzial im Einzelfall selbst bekannt sein musste.

Ein frommer Wunsch

Es wäre daher nicht nur im Interesse des Bürgerservice wünschenswert, sondern vielmehr die Pflicht der Gemeinden, sich verstärkt als Serviceeinrichtung ihrer Bürger zu verstehen; dies mit der zentralen Aufgabe, für eine fundierte und aktuelle Grundlagenforschung bei Erstellung von öffentlichen Informationsquellen und für eine umfassende Aufklärung der Bauherren im Zusammenhang mit gefährdeten Bauvorhaben zu sorgen. In Zweifelsfällen sind die Gemeinden eben dazu angehalten, verstärkt in die geound wassertechnische Expertise zu investieren.

Für Bauherren ist es jedenfalls empfehlenswert, bei Zweifeln an der gefahrlosen Bebaubarkeit und Nutzbarkeit eines Grundstücks zukünftig nicht allein darauf zu vertrauen, dass die Baubehörde ihren Aufklärungspflichten nachkommt. Vielmehr sollte man eigeninitiativ von der Baubehörde eine umfassende Aufklärung über allenfalls vorhandene oder erkennbare Gefahren – nötigenfalls unter Beiziehung eines Sachverständigen – verlangen, um zu vermeiden, dass das Bauvorhaben ein Schicksal wie im oben beschriebenen Fall nimmt.

Matthias Nödl