Benutzung des Nachbargrundstückes für Umbau- und Sanierungsmaßnahmen

© Martin Kozcy

Eigentümer der Nachbarliegenschaften sind verpflichtet, die anlässlich einer Bauführung oder In-standsetzung notwendigen Sicherungsmaßnahmen, wie z.B. Pölzungen auf ihrer Liegenschaft zu gestatten.

Speziell im innerstädtischen Bereich ist der Platz für Bauarbeiten beschränkt. Denkt man z.B. an Gassen im 1. Bezirk, die eine Breite von gerade einmal 3m aufweisen, wird das besonders bewusst. Da zu jeder Zeit an jedem Ort das „Löschen“ und „Retten“ und damit das Zufahren von Einsatzfahrzeugen möglich sein muss, ist in diesen Bereich z.B. das Aufstellen von Kranen auf öffentlichem Gut nahezu unmöglich.

Aber nicht nur „auf dem Boden“ ist der Platz in der Stadt knapp, sondern auch am Dach. Da innerstädtisch überwiegend „geschlossene Verbauung“ vorgegeben wird (Häuser sind aneinander angebaut), bedeutet dies z.B., dass eine Sanierung von Dachrandbereichen, überragenden Feuermauern, Verblechungen an Feuermauern, etc. eigentlich nur über die Liegenschaft des Nachbarn möglich ist (sieht man von zirkusverdächtigen Einsätzen der Industrial Alpinists ab).

Genau da beginnen nun oft jahrelange Diskussionen und Verhandlungen, die nicht selten Behörden und Gerichte beschäftigen. Die Wiener Bauordnung (Wr.BO) beispielsweise geht in §126 (1) speziell auf dieses Thema ein (in den Baugesetzen der übrigen Bundesländer existieren vergleichbare Vorschriften).

Nach § 126 Wr.BO sind die Eigentümer der Nachbarliegenschaften im Fall eines Bauvorhabens „verpflichtet, die anlässlich einer Bauführung oder Instandsetzung notwendigen, ohne Benützung des Nachbargrundes oder des darüber befindlichen Luftraumes nicht möglichen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglichen Arbeiten (…) gegen Ersatz des erlittenen Schadens auf ihrer Liegenschaft zu gestatten.“ Als Beispiele für derartige auf dem Nachbargrundstück durchzuführende Arbeiten erwähnt der Gesetzgeber dabei insbesondere Pölzungen und Unterfangungen sowie die Verlegung von Leitungen, Lampen, Aufschriftstafeln oder ähnlichem.

Für den Fall, dass die beabsichtigte Bauführung die Nutzung von Nachbargrundstücken erfordert, hat der Bauführer zunächst das Einvernehmen mit den Nachbarn zu suchen (vgl. § 126 (3) Wr.BO). Nur für den Fall, dass zwischen den Nachbarn keine Einigung über die Duldung der Benützung des Grundstücks zur Bauführung erzielt wird, kann (mittels Antrags des Bauführers an die Baubehörde) der Verwaltungsrechtsweg beschritten werden. Es handelt sich dabei um ein von der Einholung der Baubewilligung separates Verfahren, die Frage der Erforderlichkeit der Benutzung einer Nachbarliegenschaft zur Realisierung eines Bauvorhabens bzw. das Vorliegen einer Zustimmung des Nachbarn dazu ist daher nicht im Rahmen des Bauverfahrens, sondern in einem diesem nachgelagerten Verfahren zu klären. Im Rahmen dieses Verwaltungsverfahrens hat die Behörde (in aller Regel mittels Einholung eines Sachverständigengutachtens) zu beurteilen, ob es technisch realisierbare Alternativen zur Benützung der Nachbarliegenschaft gibt, welche keinen  „unverhältnismäßigen“ Aufwand erfordern.

Die Benützung des Nachbargrundstücks ist dem Bauführer erst gestattet, sobald die Behörde rechtskräftig über den Antrag entschieden und den Umfang der nachbarlichen Duldungsverpflichtung bestimmt hat. Aufgrund des mehrstufigen Instanzenzuges (zB Wien: Möglichkeit der Berufung an die Bauoberbehörde) kann das Verfahren einige Zeit in Anspruch nehmen, sodass in vielen Fällen von den Bauführern eine Einigung mit dem Nachbarn angestrebt wird.

Die häufigsten Fälle der temporären Nutzung

Die häufigsten Fälle der Nutzung von Nachbarliegenschaften sind z.B.

  • Nutzung des Nachbargrundstückes um ein Gerüst für die Sanierung der Feuermauer aufzustellen;
  • Nutzung der Dachflächen zur Sanierung der Dachrandbereiche und der Feuermauer;
  • Nutzung Hofflächen, Lichthof, Vorgarten zur Aufstellung eines Kranes;
  • Nutzung des Luftraums über einer Nachbarliegenschaft als Schwenkraum für einen Kran;

Es ist davon auszugehen, dass der Nachbar in den o.a. Fällen die Nutzung dulden muss, wenn dem Bauführer eine andere Umsetzung der Arbeiten aus technischen oder sicherheitstechnischen Gründen nicht möglich bzw. die Umsetzung wirtschaftlich unzumutbar wäre.

Die häufigsten Fälle permanenter Nutzung

Bestimmte Fälle machen eine dauerhafte Nutzung von Nachbarliegenschaften erforderlich. Ist bei der Verbauung von Lücken z.B. aus statischen Gründen eine Unterfangung der Nachbarfundamente erforderlich (Unterfangung bedeutet einfach ausgedrückt, dass die Einbindetiefe der Fundamente nicht ausreichend ist und diese daher tiefer geführt = unterfangen werden müssen) so kann dies natürlich nur auf dem Nachbargrundstück erfolgen. Diese Massnahme dient langfristig zur Sicherung der Nachbargebäude und muss in der Regel gesondert (also nicht im Wege eines Verfahrens nach § 126 Wr.BO) eingereicht und bewilligt werden; eine Zustimmung des Nachbarn ist in der Regel zwingend erforderlich. Wird diese nicht erteilt, bleibt in vielen Fällen nur eine wesentlich teurere Variante über, z.B. Schlitzwände (hohe Kosten und meistens massiver Verlust von Nutzflächen in den Kellergeschossen).

Ähnliches ist bei Hanglagen der Fall, wo aus statischen Gründen, zur Sicherung des Hanges(Massnahmen gegen das Abrutschen des Hanges) z.B. spezielle Erdanker gebohrt werden. Das spätere Ziehen der Erdanker ist zwar meist möglich, jedoch teurer, als diese Anker im Erdreich zu belassen. Auch hierfür ist die Zustimmung des Nachbarn erforderlich.

Vergütung der Duldung

Der Gesetzgeber, hier konkret die Wr.BO, §126 (1), sieht vor, dass der Nachbar zwar die Nutzung unter bestimmten Umständen zu dulden hat, jedoch steht dem Nachbarn dafür eine angemessene Entschädigung (Ersatz des erlittenen Schadens) zu, abgesehen von einem etwaigen Verdienstentgang (wenn z.B. Parkplätze nicht vermietet werden können, da dort ein Gerüst aufgestellt wird). Zwar sieht § 126 Wr.BO anders als die Bauvorschriften anderer Bundesländer nicht vor, dass (zB im Fall von für die Bauführung erforderlichen Grabungsarbeiten) nach Abschluss der Bauführung der vorherige Zustand wiederherzustellen ist, sodass unklar ist, ob aus § 126 Wr.BO eine derartige Verpflichtung ableitbar ist; es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass (sofern der Bauführer nicht selbst für eine Wiederherstellung des früheren Zustandes sorgt) die Verpflichtung zum Schadenersatz jedenfalls auch die diesbezüglichen Kosten umfasst.

Für die Klärung der Höhe der dem Nachbarn zustehenden Entschädigung sind (anders als für die Entscheidung über die Frage, ob der Nachbar die Benützung seines Grundstücks dulden muss) nicht die Baubehörden, sondern die ordentlichen Gerichte zuständig. Kommt es daher diesbezüglich zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bauführer und Nachbarn, muss vor dem zuständigen Zivilgericht geklagt werden. Das Gericht ist in diesem Verfahren in seiner Entscheidung frei (und hat daher auch dem Grunde nach zu beurteilen, ob durch die Benützung der Nachbarliegenschaft überhaupt ein Schaden eingetreten ist).

Ausnahmen

Eine der, speziell in Wien, bekanntesten Ausnahmen ist die Stadt Wien als Bauherr. Bei z.B. U-Bahn Bauten werden benötigte Grundstücksteile etc. für den Zeitraum der Bauarbeiten enteignet und nach Fertigstellung wieder an den „Nachbarn“ rückübereignet – hier geht Allgemeinwohl vor die Interessen des Einzelnen.

Praxishinweise

Um spätere Probleme zwischen den Nachbarn zu vermeiden, sind folgende Punkte zur Berücksichtigung (für beide Parteien) zu empfehlen:

  • rechtzeitige, umfangreiche und verständliche Darlegung der erforderlichen/gewünschten Maßnahmen durch den Bauwerber und ausführliche Erklärung;
  • Definition der dadurch entstehenden möglichen
    Risiken;
  • entsprechendes Gutachten eines Prüfingenieurs, Statikers;
  • exakter Terminplan, aus dem die Dauer der Duldung ersichtlich ist (es sollten möglichst auch Reserven eingerechnet werden!);
  • Einigung über eine etwaige Ablöse / Miete;
  • Einigung über eine Sicherstellung für mögliche Schäden (z.B. in Form einer abstrakten Bankgarantie);
  • Nachweis einer ausreichenden Haftpflichtversicherung, ev. mit einer über das normale Maß hinausgehenden Deckung (ev. spezielle Bauwesenversicherung);
  • betrifft die Duldung ein denkmalgeschütztes Objekt ist es anzuraten, die vorgeschlagenen Maßnahmen mit dem BDA (Bundesdenkmalamt) abzustimmen.
Peter Vcelouch
Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH