Bestandzinsminderung / -befreiung im Zusammenhang mit COVID-19

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Die aktuellen hoheitlichen Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung des COVID-19 Virus und die damit einhergehenden Betriebsbeschränkungen und Betriebsschließungen stellen auch die Bau- und Immobilienwirtschaft vor immense Herausforderungen. Die Bestimmungen der §§ 1104 f ABGB könnten hier ein wenig Abhilfe schaffen.

Im Zusammenhang mit dem aktuellen COVID-19 Virus wurden hoheitliche Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung des Virus getroffen.

Das Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 („COVID-19 Maßnahmengesetz“, BGBl. I Nr. 12/2020) und die auf dessen Basis erlassene Verordnung betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 („COVID-19 Verordnung“, BGBl. II Nr. 96/2020) wurden am 15.03.2020 im Bundesgesetzblatt kundgemacht. Das COVID-19-Maßnahmengesetz und die COVID-19 Verordnung sind am 16.03.2020 in Kraft getreten. Nach derzeitigem Stand soll die COVID-19 Verordnung mit Ablauf des 13.04.2020 außer Kraft treten.

Gemäß § 1 der COVID-19 Verordnung ist das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen sowie von Freizeit-und Sportbetrieben zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen oder der Benützung von Freizeit- und Sportbetrieben untersagt. § 2 der COVID-19 Verordnung sieht jedoch bestimmte, taxativ aufgezählte Ausnahmen von diesem generellen Betretungsverbot vor, die sich insbesondere auf die Bereiche der Deckung des notwendigen täglichen Lebensbedarfs beziehen (Lebensmittelhandel, Apotheken, Drogerien, Tankstellen, Banken, Post, Tabakfachgeschäfte und Zeitungskioske, Kfz-Werkstätten, etc.).

Des Weiteren ist gemäß § 3 der COVID-19 Verordnung das Betreten von Betriebsstätten sämtlicher Betriebsarten der Gastgewerbe – bis auf wenige Ausnahmen – untersagt. Dieses Betretungsverbot von Gastbetrieben ist mit 17.03.2020 in Kraft getreten.

Hinzu kommt eine Vielzahl von Verordnungen regionaler Behörden (idR Bezirksverwaltungsbehörden), die – mit regionaler Wirkung – ebenfalls Betriebsschließungen und –beschränkungen (z.B. von Beherbergungsbetrieben) zum Gegenstand haben.

Die genannten hoheitlichen Maßnahmen haben auf das Wirtschaftsleben weitreichende Auswirkungen. Eine Vielzahl an Unternehmen sind aufgrund dieser Maßnahmen zur teilweisen oder gänzlichen Schließung ihrer Betriebsstätten verpflichtet, weil den Kunden das Betreten des Kundenbereichs untersagt ist und den Inhabern der Betriebsstätten bei Zuwiderhandlung hohe Geldstrafen drohen. Zudem führt die COVID-19 Pandemie in vielen Bereichen auch bei Unternehmen, die nicht von den hoheitlich angeordneten Betretungsverboten umfasst sind, zu Beeinträchtigungen.

Eine gewisse Erleichterung solcher Betriebsschließungen und –beschränkungen könnten die Bestimmungen der §§ 1104 f ABGB bewirken, die eine Bestandzinsminderung bzw. –befreiung im Falle einer durch außerordentliche Zufälle bedingten Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes vorsehen.

  • 1104 ABGB nennt als außerordentliche Zufälle beispielhaft Feuer, Krieg, Seuche, große Überschwemmungen, Wetterschläge und gänzlichen Misswuch.

Diese gesetzliche Aufzählung ist jedoch nicht abschließend. Nach der Rechtsprechung liegt ein außerordentlicher Zufall grundsätzlich vor, wenn es sich um elementare Ereignisse handelt, die stets einen größeren Personenkreis treffen und von Menschen nicht beherrschbar sind, sodass für deren Folgen im Allgemeinen von niemand Ersatz erwartet werden kann. Neben den im Gesetz beispielhaft genannten Fällen versteht die Rechtsprechung darunter auch von den Vertragspartnern nicht provozierte hoheitliche Verfügungen (etwa die Beschlagnahme des Bestandobjektes durch eine Besatzungsmacht).

Die COVID-19 Pandemie ist durchaus als Seuche zu qualifizieren. Die im Zusammenhang damit getroffenen hoheitlichen Maßnahmen stellen nicht von den Vertragsparteien provozierte hoheitliche Verfügungen dar.

Bei einer durch außerordentlichen Zufall bedingten gänzlichen Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes ist gemäß § 1104 ABGB kein Miet- oder Pachtzins zu entrichten. Dies gilt, wie bereits ausgeführt, sowohl für Miet- als auch für Pachtverträge. Bei einer durch außerordentlichen Zufall bedingten teilweisen Unbrauchbarkeit des Bestandgegenstands ist gemäß § 1105 ABGB zwischen Miet- und Pachtvertrag zu unterscheiden.

Bei Mietverträgen wird gemäß § 1105 Satz 1 ABGB bei einer teilweisen Unbrauchbarkeit ein verhältnismäßiger Teil des Mietzinses erlassen. Die Mietzinsminderung wird daher anhand eines prozentuellen Abschlags je nach dem Grad der Unbrauchbarkeit berechnet.

Bei Pachtverträgen hingegen besteht die Möglichkeit einer Pachtzinsreduktion bei teilweiser Unbrauchbarkeit gemäß § 1105 Satz 2 ABGB nur dann, wenn die Laufzeit des Pachtvertrages maximal ein Jahr beträgt. Zudem muss durch die außerordentlichen Zufälle die Nutzung des gepachteten Bestandsgegenstandes um mehr als die Hälfte beeinträchtigt sein. Daraus ergibt sich, dass für Pachtverträge, welche für mehrere Jahre abgeschlossen wurden, keine Bestandzinsreduktion geltend gemacht werden kann. Hintergrund dieser Regelung ist, dass der Gesetzgeber bei längerfristigen Pachtverhältnissen oder bei einem Ertragsausfall von höchstens der Hälfte davon ausgeht, dass ein Minderertrag durch einen höheren Mehrertrag der Folgejahre ausgeglichen werden könnte. Das gilt sinngemäß auch für die Unternehmenspacht.

Da die Abgrenzung zwischen Miet- und Pachtvertrag in der Praxis häufig schwierig ist und diesbezüglich eine sehr kasuistische Rechtsprechung besteht, ist im Bereich der teilweisen Unbrauchbarkeit eines Bestandobjekts jeder Einzelfall auch in diese Richtung hin gesondert zu prüfen.

Festzuhalten ist, dass die Mietzinsbefreiung bzw. -minderung alle Zinsbestandteile umfasst, also auch die Betriebs- und Nebenkosten sowie öffentliche Abgaben.

Die Bestimmungen der §§ 1104 f ABGB sind dispositiv. Folglich kann im jeweiligen Miet-oder Pachtvertrag auch eine davon abweichende Gefahrtragungsregelung – innerhalb der Grenzen der Sittenwidrigkeit – vereinbart werden. Zu berücksichtigen sind dabei auch die Auslegungsregeln des § 1106 ABGB. Diese sehen vor, dass der Bestandnehmer im Zweifel bei „unbestimmter“ Gefahrenübernahme nur die Gefahr für Feuer-, Wasserschäden und Wetterschläge trägt. Nur wenn er sich ausdrücklich verpflichtet, auch die Gefahr für alle anderen außerordentlichen Unglücksfälle zu übernehmen, gelten die §§ 1104 f ABGB nicht. Auch in diesem Fall besteht aber eine Zweifelsregel, wonach der Bestandnehmer nicht auch für den zufälligen Untergang des Bestandobjekts haften wollte, also nur die Preis-, aber nicht die Leistungsgefahr übernommen hat.

Ist man daher als Mieter oder Pächter in der Benutzung des Bestandobjektes durch die COVID-19 Pandemie selbst oder durch die hoheitlichen Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des COVID-19 Virus beeinträchtigt, wäre sohin anhand der Bestimmungen des jeweiligen Miet- oder Pachtvertrages zu prüfen, ob und inwieweit ein Anspruch auf Mietzinsminderung oder –befreiung gemäß §§ 1104 f ABGB besteht.

 

Matthias Nödl