In der Öffentlichkeit werden derzeit gehäuft Missstände von Justiz und Verwaltung aufgezeigt und diskutiert. Was bislang nicht zur Diskussion stand, aber für den Betroffenen oft als gravierender Missstand empfunden wird, ist die geradezu blinde Hörigkeit der Behörden und ihrer Entscheidungsträger, wenn es um Gutachten von Amtssachverständigen geht.
Gerade im öffentlichen Baurecht (im weiten Sinn) ist es mittlerweile eine von der Judikatur gestärkte Behördenpraxis, Vorbringen von Parteien, das dem Inhalt von (selbst fragwürdigen) Gutachten von Amtssachverständigen widerspricht, mit dem Argument „man sei dem Gutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen getreten“ rasch und für den Staatshaushalt kostengünstig abzuschmettern, ohne sich mit dem Parteienvorbringen näher auseinanderzusetzen.
Wie das Judikat des VwGH zur Aktenzahl 2008/07/0179 vom 23.2.2012 zeigt, genügt es etwa, dass ein Amtssachverständiger auf einer Liegenschaft angeschüttetes Baumaterial in Augenschein nimmt und allein aus dem Augenschein (also ohne nähere bautechnische oder chemische Überprüfung) den Schluss zieht, dass es sich dabei um Abfall im Sinne des Abfallwirtschaftsgesetzes handelt, der zu entfernen und fachgerecht zu entsorgen ist.
Da halfen nicht einmal die Einwände des Betroffenen,
- die Anschüttung bezwecke nicht die Ablagerung von Abfall, sondern die Herstellung eines neuen Zu- und Abfahrtsbereichs zu einer Betriebsanlage;
- eine externe Untersuchungsanstalt habe das Material auf seine bautechnische und chemische Eignung überprüft und für in Ordnung befunden;
- das Gutachten des Sachverständigen sei unvollständig und durch eine entsprechende bautechnische und chemische Untersuchung (über den Augenschein hinaus) zu ergänzen.
Unter Hinweis darauf, dass das Gutachten des Sachverständigen schlüssig und nachvollziehbar sei, weshalb weitergehende Untersuchungen nicht erforderlich wären, hat selbst der VwGH diese Einwände des Betroffenen relativ leicht vom Tisch gewischt.
Schon etwas weniger leicht haben es sich die Behörden im Verwaltungsverfahren rund um die Bewilligung der Erweiterung eines Wasserleitungsnetzes gemacht, das dem Judikat des VwGH zur Aktenzahl 2010/07/0148 vom 26.1.2012 vorangegangen ist. Ein Betroffener hatte sich gegen die Trassierung der Wasserleitung über seine Liegenschaft gewehrt.
Die Behörde hatte sich bei der Festlegung der Trassierung auf das wasserbautechnische Gutachten des Amtssachverständigen gestützt, der die Bedenken des Betroffenen dagegen zerstreut hatte. Insbesondere war der Sachverständige nach mehrfacher Ergänzung seines Gutachtens über Initiative des Betroffenen zum Ergebnis gekommen, dass eine Trassierung technisch nicht möglich sei, welche die Liegenschaft geringer belaste als die projektierte.
Die vom Betroffenen aufgezeigten Alternativen blieben unbeachtlich, die Einwendungen ohne Erfolg. Nach Ansicht des VwGH könne ein Sachverständigengutachten nur durch das Gutachten eines anderen Sachverständigen unter präziser Darstellung der gegen das Gutachten gerichteten sachlichen Einwände entkräftet werden. Dies sei in diesem Fall nicht erfolgt, weshalb das Gutachten der Bewilligung der Trassierung der Wasserleitung zugrunde gelegt werden könne.
Letztlich hat die Unumstößlichkeit von Expertisen eines Amtssachverständigen im Zusammenhang mit dem Judikat des VwGH zur Aktenzahl 2011/04/0111 vom 28.2.2012 seine Grenze aber doch im Hausverstand und nicht in einem Gegengutachten gefunden.
In dieser Rechtssache sollte eine Bäckerei trotz relevanter Einwände eines Anrainers bezüglich der zu erwartenden Schallimmissionen die behördliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Betriebsanlage bestehend aus Backstube, Lager und Büro erhalten. Die Behörde hatte sich dabei auf das Gutachten des gewerbetechnischen Amtssachverständigen berufen.
Dieser Sachverständige hatte ernsthaft den Standpunkt vertreten, dass die Dauergeräusche der Anlage in den Nachtstunden unbeachtlich wären, weil der Aufenthalt im Garten zur Nachtzeit nicht schützenswert sei. Die erst- und zweitinstanzlichen Behörden sind dieser Argumentation sogar gefolgt. Gott sei Dank hat der VwGH dem aber Einhalt geboten und darauf hingewiesen, dass die Geräuschimmissionen auch zur Nachtzeit natürlich nicht ausgeblendet werden dürfen, weil es dem Anrainer frei stünde, den Garten auch in der Nacht zu benützen. Die Benützung des Gartens in der Nachtzeit müsse also zumindest möglich sein.
In manchen (besonders krassen) Fällen lohnt es sich also doch, sich auf den Hausverstand zu berufen. Im Regelfall wird man mit Einwendungen vor Verwaltungsbehörden, die eine sachverständige / technische Beurteilung erfordern, aber nur dann reüssieren, wenn man diese durch einwandfreie, schlüssige und nachvollziehbare Sachverständigengutachten untermauern kann.