
Regelmäßig tritt bei der Abwicklung von Bauvorhaben – mögen dies nun Großbauprojekte oder kleinere Projekte sein – im Zuge von Mehrkostenforderungen der Auftragnehmer die Streitfrage auf, zu welchen Anordnungen die vom Bauherrn eingesetzte ÖBA berechtigt ist und in welchem Umfang diese Vertretungshandlungen dem Bauherrn zuzurechnen sind. Im Folgenden wird daher ein kurzer Überblick über die Grundsätze des Stellvertretungsrechts gegeben.
Einleitung
Die Funktionen und Verantwortungsbereiche der vom Bauherrn bei einem Bauvorhaben eingesetzten Personen überschneiden sich häufig, sodass regelmäßig nur bei gut strukturierten Bauvorhaben in einem Projekthandbuch klar definiert ist, wer, in welchen Bereichen, zu welchen Vertretungshandlungen für den Bauherrn (Auftraggeber [AG]) befugt ist.
Der Örtlichen Bauaufsicht (ÖBA) ist oft auch die generelle Bau- und Projektleitung sowie die Wahrnehmung der dem Bauherrn obliegenden Pflicht zur Koordinierung der einzelnen Auftragnehmer (AN) und möglicherweise auch die Aufgabe des Baustellenkoordinators/Projektleiters im Sinne des Bauarbeitenkoordinationsgesetzes (BauKG) übertragen.
Oft geriert sich die ÖBA so, als wäre sie der Bauherr selbst, erteilt Anordnungen und Weisungen zur und bei der Bauabwicklung, die zu Mehrkostenforderungen (MKF) wegen Leistungsänderungen oder Störungen der Leistungserbringung (etwa Behinderung) der AN führen. Im Nachhinein wird dann nicht selten darüber gestritten, ob die ÖBA dazu überhaupt befugt war.
Die aktuelle Fassung der ÖNORM B 2110/2118 (je 2011) spricht die ÖBA nicht eigens an, sondern legt etwa in Punkt 5.2.1 fest, dass die Vertragspartner, sofern sie nicht selbst handeln, eine oder mehrere Personen namhaft zu machen haben, die alle Erklärungen abgeben und entgegennehmen sowie alle Entscheidungen treffen können, die zur Abwicklung des Vertrages erforderlich sind. Gegebenenfalls seien Art und Umfang der jeweiligen Vollmacht bekannt zu geben.
Wird dieser an sich klaren Vorgabe im Vertrag zwischen den Parteien nicht entsprochen, ist anhand der Grundsätze des Stellvertretungsrechts im Allgemeinem Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) und dem Unternehmensgesetzbuch (UGB) zu entscheiden, ob und in welchem Umfang eine für den Bauherrn als AG auftretende Person von diesem dazu bevollmächtigt wurde oder ob dem Bauherrn die Vertretungshandlungen ohne die Erteilung einer Vollmacht (ausnahmsweise) dennoch zuzurechnen sind.
Regelungen in Auftragsbedingungen zur Vertretungsmacht der ÖBA
In Allgemeinen oder auch Besonderen Auftragsbedingungen rechtlichen Inhalts, die in der Reihenfolge der Vertragsbestandteile meist vor der ÖNORM B 2110/2118 angesiedelt sind, finden sich häufig Regelungen zur Vertretungsmacht der ÖBA; beispielhaft können etwa die AGB des ÖBB-Konzerns für Bauaufträge angeführt werden (AGB B Ausgabe 6.2009):
„Die vom Auftraggeber bestellte örtliche Bauaufsicht (im Folgenden kurz „Bauaufsicht“) vertritt den Auftraggeber bei der Abwicklung des Bauvertrages, deren Weisungen vom Auftragnehmer und seinen Leuten, aber auch von seinen Subunternehmern und Zulieferanten sowie deren Leuten stets unverzüglich zu befolgen sind. Zu Vertragsanpassungen ist die Bauaufsicht nicht berechtigt.“
Mit dieser oder ähnlichen Vertragsklauseln wird der ÖBA einerseits eine Vertretungsmacht mit beschränktem Umfang eingeräumt und andererseits hervorgehoben, dass die ÖBA keine Anordnungen treffen darf, die zu Leistungsänderungen (zu einem Abweichen vom Bau-Soll) führen. Gedeckt ist davon jedenfalls die Wahrnehmung der dem AG obliegenden Pflicht zur Koordinierung der einzelnen AN nach dem ABGB und Punkt 6.2.5.1 ÖNORM B 2110. Die Antwort auf die Frage der Reichweite der so eingeräumten Vollmacht, hängt im Grenzbereich aber regelmäßig davon ab, welche der (angeordneten) Leistungen noch der „vertragsgemäßen Durchführung“ zuzurechnen sind und welche zu einer Leistungsänderung, einem Abweichen von der geschuldeten Leistung führen.
Für den AN besteht die Gefahr, dass ihm, wenn er Zweifel an einer wirksamen Vertretungshandlung hat und sich daher weigert, der Anordnung Folge zu leisten, eine Leistungsverweigerung vorgeworfen werden kann. Leistet er aber der Anordnung Folge und stellt sich dann heraus, dass damit tatsächlich eine Leistungsänderung einhergeht, ist der AG nicht selten geneigt, die Zahlung etwaiger Mehrkosten mit dem Hinweis auf die mangelnde Vertretungsmacht der ÖBA zu dieser Anordnung zu verweigern.
Grundsätze des Stellvertretungsrechts
Zu unterscheiden ist immer die Vollmacht, die der AG seinen Vertretern im Innenverhältnis erteilt hat (Innenvollmacht) und das Außenverhältnis zu den Vertragspartnern des AG; nämlich inwieweit der AG seinen Vertragspartnern mitteilt, er hätte einer Person Vertretungsmacht in einem bestimmten Umfang erteilt (Außenvollmacht). Es reicht völlig aus, wenn der AG den AN als seinen Vertragspartnern mitteilt, er hätte eine Vollmacht mit einem bestimmten Umfang erteilt; ob der AG die Vollmachtserteilung gegenüber seinen „Leuten“ auch ausgesprochen hat, ist dann nicht weiter erheblich.
Hat der AG als Geschäftsherr gegenüber den AN die Vollmachtserteilung an eine bestimmte Person nicht mitgeteilt und seinen „Leuten“ (im Innenverhältnis) tatsächlich keine oder eine bloß beschränkte Vollmacht erteilt, so ist der Vertragspartner des Geschäftsherrn in seinem Vertrauen auf die vermutete Vollmachtserteilung dann geschützt, wenn der AG selbst ein (ihm zurechenbares) Verhalten nach Außen gesetzt hat, das darauf schließen lässt, er hätte im Innenverhältnis (schon davor) eine Vollmacht erteilt; es muss ein äußerer Tatbestand hergestellt sein, der regelmäßig auf die Erteilung einer Vollmacht schließen lässt („Anscheinsvollmacht“ des Stellvertreters); auch wenn der AG tatsächlich keine Vollmacht erteilt haben sollte und von einem vollmachtlosen Handeln auszugehen wäre, ist in diesen Fällen das Handeln der „Leute“ des AG diesem dennoch zuzurechnen. Der AG wird so behandelt als hätte er eine Vollmacht erteilt, weil ihn der gesetzte Anschein zum Schutze seiner Vertragspartner „belastet“.
Der wichtigste Anwendungsfall einer solchen Vollmacht ist die sogenannte Verwaltervollmacht im Sinne des § 1029 ABGB; überträgt ein Geschäftsherr einer Person Aufgaben, die sinnvollerweise nur dann erfüllt werden können, wenn diese Person (der Beauftragte) Vollmacht hat, dann darf auf eine erteilte Vollmacht vertraut werden; man sagt, derjenige, der einem anderen die „Verwaltung“ anvertraut, von dem wird vermutet, dass er die Macht eingeräumt hat, all jene Vertretungshandlungen vorzunehmen, mag er nun tatsächlich Vollmacht erteilt haben oder nicht, die die „Natur des Geschäftes“ mit sich bringen oder die mit einer solchen Geschäftsführung „gewöhnlich verbunden“ sind (ganz ähnlich § 54 UGB den Umfang einer erteilten Handlungsvollmacht). Damit geht der Umfang der Vollmacht eben genau so weit, wie es die Erfüllung der übertragenen Aufgaben erfordert.
Bei Gesellschaften ist zu beachten, dass etwa Geschäftsführer oder Vorstände oft nicht alleinvertretungsbefugt sind, sondern nur gemeinsam mit einem weiteren Geschäftsführer/Vorstand die Gesellschaft wirksam vertreten können (man spricht von einer Gesamt- oder Kollektivvertretungsbefugnis). In einem solchen Fall muss der äußere Tatbestand (der Anschein, dass Vertretungsmacht eingeräumt worden sein muss) von den gemeinsam (kollektiv) vertretungsbefugten Geschäftsführern/Vorständen gesetzt werden, weil nur so der Zweck der Gesamtvertretungsbefugnis erreicht wird; es reicht aus, wenn eine geschlossene Kette von (Handlungs-)Vollmachten von oben nach unten bis zu demjenigen besteht, der dann den letztendlich relevanten Tatbestand herstellt, aus dem zu vermuten ist, dass zweckmäßigerweise wohl eine Vollmacht erteilt worden ist.
Wenn dem Geschäftsherrn bekannt ist, dass der „Vertreter“ regelmäßig vollmachtlos für ihn Geschäfte abschließt oder regelmäßig die erteilte Vollmacht überschreitet, dann kann von einer stillschweigenden (rechtsgeschäftlichen) Erteilung oder Erweiterung der Vollmacht ausgegangen werden. Man spricht von einer Duldungsvollmacht, weil dem Geschäftshe
rrn das vollmachtlose Handeln seiner „Leute“ bekannt ist und er dagegen nicht einschreitet; es wird daher vermutet, dass er damit einverstanden ist. Aber auch hier gilt, dass die Duldung bei bloßer Gesamtvertretungsbefugnis von den nur zur gemeinsam Vertretungsbefugten stammen muss.
Überschneidungen: ÖBA und Architektenvertrag
Ganz im Gegensatz zu den oben dargestellten Grundsätzen führt Karasek (Kommentar zur ÖNORM B 2110² Rz 722) aus, die Rechtsprechung nähme eine Bevollmächtigung der ÖBA an und der AG, wolle er sich rechtsgeschäftliche Handlungen selbst vorbehalten, müsse dies durch entsprechende vertragliche Regelungen zum Ausdruck bringen.
Diese Auffassung ist unzutreffend und die von Karasek dafür ins Treffen geführte Judikatur (OGH 10 Ob 31/00g und 2 Ob 90/07k) betrifft die Charakterisierung des im Gesetz nicht geregelten Architektenvertrags (Werkvertrag oder Bevollmächtigungsvertrag bzw typengemischter Vertrag zwischen beiden); dies ist für die hier in Rede stehende Frage nicht einschlägig. Der verwendete Terminus „Bevollmächtigungsvertrag“ darf nämlich nicht missverstanden werden; das ABGB regelt und vermischt unter dem Titel „Bevollmächtigungsvertrag“ den Auftragsvertrag als einen Vertrag zur Vornahme von Rechtshandlungen (= Geschäftsbesorgung mit oder ohne Vertretungsmacht) und die Vollmacht (zur Stellvertretung); Auftrag und Vollmacht können zusammenfallen, notwendig ist dies aber nicht.
Aus den einem Architekten in der Regel eingeräumten Befugnissen und Aufgaben, insbesondere der Betrauung mit der Bauführung ergäbe sich nach dem Obersten Gerichtshof (OGH) in einer älteren Entscheidung, dass dies den im § 1029 ABGB genannten Fällen (der „Verwaltervollmacht“) gleich stehe. Darin sei ein vom Bauherrn selbst geschaffener äußerer Tatbestand gelegen, auf den sich der Dritte mangels gegenteiliger Kenntnis verlassen dürfe (OGH 5 Ob 47/63).
Die klassischen Aufgaben einer ÖBA sind ein bloßer Ausschnitt der Aufgaben, die einem Architekten typischerweise übertragen werden und die Aufgaben der ÖBA für sich allein genommen erfordern keine rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung zu Vertretungshandlungen; daher kann auf eine solche redliche Weise nicht vertraut werden. „Gewöhnlich“ ist mit der Wahrnehmung der ÖBA nämlich überhaupt keine „Geschäftsführung“ verbunden. Nur derjenige hat das Gegenteil besonders hervorzukehren, den der äußere Tatbestand „belastet“.
Aufgaben der ÖBA
Es kommt – um den Umfang einer nicht exakt festgelegten Vollmacht im Sinne einer Verwaltervollmacht ermitteln zu können – auf das allgemein anerkannte Verständnis zu den der ÖBA obliegenden Aufgaben an:
Dazu gehören nach der Rechtsprechung des OGH die Überwachung der Herstellung des Werks auf Übereinstimmung mit den Plänen sowie auf Einhaltung der technischen Regeln, der behördlichen Vorschriften und des Zeitplans, die Abnahme von Teilleistungen und die Kontrolle der für die Abrechnung erforderlichen Abmessungen und die Führung des Baubuchs, also alle jene Kontrolltätigkeiten, die sich unmittelbar auf den Baufortschritt beziehen und nur im Zusammenhang mit Wahrnehmungen auf der Baustelle selbst sinnvoll ausgeübt werden können.
Die Bauaufsicht soll den AG vor Fehlern schützen, die in den Verantwortungsbereich der einzelnen AN fallen, nicht aber diese von deren Verantwortung entlasten oder deren Verantwortung mindern. Dem regelmäßig erhobenen Vorwurf eines Mitverschuldens des AG bei fehlerhaften Bauleistungen des AN wegen mangelhafter Bauüberwachung der ÖBA begegnet der OGH mit dem Hinweis, dass die Bauüberwachung ausschließlich im Interesse des AG erfolgt und nicht in jenem der AN; ein die Haftung minderndes Mitverschulden kann nicht geltend gemacht werden.
Diese in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze entspringen unmittelbar den Grundsätzen zur rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung eines Dritten für den Geschäftsherrn (den AG) zu handeln. Aus den früheren – 2006 aufgehobenen – Regelwerken der Gebührenordnungen und den nunmehr von unterschiedlichen Seiten herausgegebenen Leitfaden (etwa jenem der WKÖ) als Nachfolgewerke ist für die hier interessierende Frage der Vertretungsmacht nichts zu gewinnen. Daraus lassen sich allenfalls Schlussfolgerungen zum Honorar ziehen, wenn eine entsprechende Beauftragung und die Einräumung von Vertretungsmacht erfolgt sind. Aus den dargestellten Aufgaben der ÖBA (der „Natur des Geschäftes“) ergibt sich zweifellos, dass Vertretungsmacht zur Erfüllung dieser Aufgabe nicht erforderlich ist und daher bedeutet die Übertragung der ÖBA an eine Person gerade eben nicht, dass zu vermuten ist, dieser Person muss wohl Vertretungsmacht eingeräumt worden sein.
Schlussfolgerungen
Die ÖBA ist daher – wenn ihr vom AG keine weiteren Aufgaben und Verantwortungsbereiche zugewiesen werden – grundsätzlich zur rechtsgeschäftlichen Vertretung des AG nicht befugt. Bei Unsicherheiten empfiehlt es sich daher dem AG jene Anordnungen der ÖBA im Grenzbereich zur Leistungsänderung zur Kenntnis zu bringen und eine Zustimmung des AG einzufordern. Dies lässt sich mit einem Hinweis rechtfertigen, dass nach Punkt 7.5.1 ÖNORM B 2110/2118 oder den ähnlichen Regelungen in AGB Leistungen, die nicht im Leistungsumfang enthalten sind, ohne schriftliche Zustimmung des AG nicht ausgeführt werden dürfen. Muss dem AG (etwa aufgrund solcher Mitteilungen) bekannt sein, oder wird ihm laufend zur Kenntnis gebracht, dass die ÖBA die erteilte Vollmacht überschreitet oder sich zumindest im Randbereich der noch eingeräumten Vertretungsbefugnis bewegt, dann kann ein Schweigen auf mehrere solcher Mitteilungen unter Umständen als Dulden gesehen und von einer stillschweigenden (rechtsgeschäftlichen) Erteilung oder Erweiterung der Vollmacht ausgegangen werden.