Kaum ein Bauvorhaben läuft ohne eine “Störung der Leistungserbringung” ab und in der Baupraxis taucht daher immer wieder die brennende Frage auf, ob der Auftragnehmer zu Forcierungsmaßnahmen verpflichtet sein kann, um den ursprünglich vereinbarten Bauzeitplan einzuhalten oder ob der Auftraggeber sogar berechtigt sein kann, solche Maßnahmen anzuordnen.
Grundkonzept des ABGB und der ÖNORM B 2110 zu Leistungsabweichungen
Nach dem Konzept des ABGB gebührt dem Auftragnehmer (AN) nach § 1168 Abs 1 Satz 2 ABGB grundsätzlich eine „Entschädigung“ durch Aufstockung des Werklohns[1], wenn hindernde Umstände auf Seiten („Sphäre“) des Auftraggebers (AG) den AN zu erhöhtem Arbeitseinsatz und zu höheren Aufwendung zwingen[2]. Zu der Sphäre des AG gehört nach § 1168a letzter Satz ABGB der von ihm beigestellte Stoff und als solcher ist etwa bei Fassadenarbeiten das zu behandelnde Mauerwerk[3]oder im Tiefbau geradezu klassisch der Baugrund[4]anzusehen. Aus § 1168 Abs 1 Satz 2 ABGB ergeben sich für den Bauvertrag zwei schon von Gesetzes wegen eintretende Gestaltungswirkungen auf den Bauvertrag; nämlich einerseits die Erhöhung des vertraglich geschuldeten Werklohns und andererseits eine Verlängerung der vertraglich vereinbarten Leistungsfrist (der Bauzeit)[5].
Die ÖNORM B 2110 in der Fassung 2002 (Punkt 5.34) bzw. in der Fassung 2009/2011 (Punkt 7.2., 7.4) weichen von diesem Konzept im Grunde nicht ab, modifizieren die Regelung des § 1168 Abs 1 ABGB nur[6]. Punkt 5.34.1.2 ÖNORM B 2110 (2002) spricht im Anschluss an Punkt 5.34.1.1 von einer Behinderung, die darin besteht, dass der Beginn der Ausführung einer Leistung verzögert wird oder während der Ausführung Verzögerungen oder Unterbrechungen eintreten, die die Einhaltung der Leistungsfrist gefährden. Punkt 5.34.2.1 Abs 1 und 2 machen klar, dass bei Behinderungen aus der Sphäre des AG der AN einen „Anspruch“ auf Verlängerung der Leistungsfrist hat.
Darüber hinaus hat der AN nach Punkt 5.34.5.1 Anspruch auf Abgeltung der Mehrkosten, wenn die Behinderung durch Umstände verursacht worden ist, die für den AN vor dem Ablauf der Angebotsfrist nicht vorhersehbar waren oder im Bereich des AG liegen. Die ÖNORM B 2110 Fassung 2009/2011 verwendet lediglich eine etwas abweichende Terminologie, meint aber mit Behinderung dasselbe, wenn diese in Punkt 3.7.1. als Beispiel für eine Störung der Leistungserbringung vom Leistungsumfang abweichende Baugrundverhältnisse, sowie Behinderungen, die in der Sphäre des AG liegen, nennt. Bei Leistungsabweichungen hat der AN nach Punkt 7.4.1 „Anspruch“ auf Anpassung der Leistungsfrist und/oder des Entgelts, sofern der AN diesen „Anspruch“ angemeldet hat und eine Mehrkostenforderung (MKF = Zusatzangebot) in prüffähiger Form gelegt hat.
Die Abweichung vom Gesetz liegt vor allem darin, dass die Gestaltungswirkung auf den Vertrag nicht von alleine eintritt, sondern der AN die Gestaltungswirkung gegenüber dem AG erst geltend machen muss. Hervorzuheben ist aber, dass der AN bei Behinderungen respektive Leistungsabweichungen nicht in Verzug ist, weil er nach Punkt 5.34.2 (2002) bzw. Punkt 7.4.1 (2009/2011) einen Anspruch auf Verlängerung der Bauzeit hat und Verzugsfolgen erst bei Überschreitung der verlängerten Frist eintreten (Punkt 5.34.2.5 [2002] bzw. Punkt 7.4.2 [2009/2011]).
Forcierung als Maßnahme – Vertragsanpassung
Der negative Einfluss auf die vertragliche Leistungsfrist lässt sich durch Forcierungsmaßnahmen abfangen. Unter diesem rechtlich nicht definierten Begriff verstehenOberndorfer/Jodl die Beschleunigung der Leistungserstellung, indem vorhandene Kapazitäten intensiver genutzt werden, zum Beispiel durch Mehrschichtbetrieb oder Überstunden, oder wenn zusätzliche Kapazitäten in Form von Personal und Geräten eingesetzt werden[7]. Schachinger versteht darunter erhöhte Anstrengungen gegenüber der Planung, etwa durch Einsatz einer größeren Anzahl von Gehilfen oder stärkerer Maschinen oder eine Änderung des Arbeitskonzeptes, um den vorgesehenen Herstellungstermin doch einzuhalten[8]. Reckerzügel/Schwarz bezeichnen als Forcierung Maßnahmen zur Eindämmung einer Bauzeitverlängerung[9].Nach Gölles bedeute Forcierung Leistungserbringung in unvermindertem Leistungsumfang in verminderter Leistungsfrist bzw in erhöhtem Leistungsumfang in unveränderter Leistungsfrist[10].
Die Forcierung dient im hier interessierenden Zusammenhang dazu, die negativen zeitlichen Folgen einer Leistungsabweichung, sei es nun eine Störung der Leistungserbringung oder eine Leistungsänderung, die ursprünglich vorgesehene Leistungsfrist durch Einsatz von zusätzlichen Gerät oder zusätzlichem Personal im Bau-Ist zu wahren. Dazu ist eine Vertragsanpassung erforderlich, weil sowohl nach dem ABGB von Gesetzes wegen und der ÖNORM – dort erst nach entsprechender „Anmeldung“ – die vertragliche Leistungsfrist bereits erstreckt ist – der Bauvertrag insofern also bereits eine Änderung erfahren hat und die Vereinbarung von Maßnahmen, mit denen zur ursprünglichen Leistungsfrist zurückgekehrt werden soll (Verkürzung gegenüber dem Bau-Sollte), eine neuerliche Vertragsänderung darstellen.
Unter dem Bau-Sollte ist baubetriebswirtschaftlich jene Fertigstellungsfrist zu verstehen, die der AN unter der vertraglichen Leistungsintensität (Bau-Soll) und den tatsächlichen Umständen schuldet (Bau-Ist). Das Bau-Sollte sei daher das fortgeschriebene Bauzeit-Soll – also die geschuldete Leistungsintensität – unter den gegebenen Bedingungen im IST (zu verstehen als „Soll im Ist“)[11].
Pflicht zur Forcierung aus der ÖNORM B 2110?
Aus Punkt 5.34.1.1 (2002) und Punkt 7.1 (2009/2011) könnte man nun ableiten, dass der AN verpflichtet wäre, Forcierungsmaßnahmen zu setzen, wenn der AN alles Zumutbare aufzubieten hat, um eine Überschreitung der Leistungsfrist abzuwenden. Dies entspräche der Treupflicht gegenüber dem Vertragspartner des allgemeinen Zivilrechts, ihn vor Schaden – soweit zumutbar – zu bewahren.
Dies beinhaltet jedoch, dass der AN nur dann zur Forcierung verpflichtet sein kann, wenn er vom AG für die gesetzten Maßnahmen eine Vergütung erhält[12]. Folgerichtig schränkt Punkt 7.1 (2009/2011) die Verpflichtung, alles Zumutbare aufzuwenden, darauf ein, dass keine Mehrkosten entstehen, weswegen der AN ohne Vergütung auch nicht zur Forcierung – und zwar auch nicht aus der allgemeinen Treuepflicht – verhalten sein kann[13].
Stowasser/Gschweitl[14] meinen nun, dass die Bauzeit oder die Leistungsintensität als Bestandteile des Leistungsumfangs anzusehen seien[15] und sind daher offenbar der Auffassung, dass der AG eine Forcierung unabhängig von der zivilrechtlichen Treuepflicht des AN als Vertragspartner in Ausübung seines Leistungsänderungsrechts anordnen könnte. Diese Auffassung trifft schon alleine deswegen nicht zu, weil die Leistungsfrist und die Bauzeit[16] eine Frage der Fälligkeit der Leistung darstellt. Die Fälligkeit gehört zwar zum Vertragsinhalt, betrifft aber nicht den Leistungsgegenstand (das Produkt der Leistung) und daher auch nicht den Leistungsumfang (Bau-Soll).
Die Definition des Leistungsumfangs (Bau-Soll) in Punkt 3.8 der ÖNORM B 2110 (2009/2011) stimmt mit der juristischen Begriffsbestimmung des Leistungsgegenstands eines Werkvertrags vollinhaltlich überein und ein daraus abgeleitetes Leistungsänderungsrecht ist demna
ch begrifflich ausgeschlossen. Die Regelungen in der ÖNORM B 2110 über die Anordnung einer Leistungsänderung sind nämlich nichts anderes, als ein dem Vertragspartner eingeräumtes Recht zur Leistungsbestimmung im Sinne des § 1056 ABGB – ein Gestaltungsrecht des AG zur Vertragsänderung im Hinblick auf den Leistungsgegenstand[17]; die Änderung der Fälligkeit steht – wenn vertraglich nichts Abweichendes vereinbart worden sein sollte – dem AG nicht zur Disposition. Genauso wenig wie dem AG eine Leistung vor Fälligkeit „aufgedrängt“ werden kann (§ 1419 ABGB)[18], kann sie vom AN vor Fälligkeit nicht gefordert werden (§ 904 ABGB).
Eine Begriffsbestimmung wie „Leistung“ sei „Arbeit je Zeiteinheit“[19] und daher habe der AG ein Zeitänderungsrecht, vermengt in ganz unzulässiger Weise Begriffe aus der Physik mit Begriffen aus anderen Disziplinen und dem allgemeinen Sprachgebrauch. Daraus abgeleitete Begründungen sind ungeeignet, einen sachlichen Beitrag zur Diskussion zu liefern. Die in diesem Zusammenhang kontroversiell abgeführte Diskussion in der deutschen Literatur hängt mit den unterschiedlichen Auffassungen zu dem in der VOB/B nicht definierte Begriff des „Bauentwurfs“ und dem Recht des AG auf Änderung desselben in § 1 Nr. 5 VOB/B zusammen[20]; für das österreichische Recht und die ÖNORM B 2110 lässt sich daraus nichts gewinnen. Zuzugeben ist allerdings, dass der AG mittelbar auf Leistungsfrist und Fälligkeit Einfluss nehmen kann, indem er Leistungen in Ausübung seines Leistungsänderungsrechts „entfallen“ lässt (dies führt zu einer Verkürzung der Bauzeit). Daraus kann aber kein Recht abgeleitet werden, bei unvermindertem Leistungsumfang eine Verkürzung oder Verlängerung der Bauzeit anzuordnen.
Pflicht zur Forcierung aus allgemeiner Treupflicht des AN
Weder in Punkt 5.34 ÖNORM B 2110 (2002) noch in Punkt 7.1. ÖNORM B 2110 (2009/2011) ist ein Änderungsrecht des AG „vereinbart“, das ihm die Anordnung einer Forcierung oder einen anderen Einfluss auf die Bauzeit erlauben würde. Die Leistungsfrist (Fälligkeit) zählt nicht zum Leistungsumfang (Bau-Soll). Eine Verpflichtung zur Forcierung kann aber aus der allgemeinen Treuepflicht[21] des AN gegenüber seinem Vertragspartner folgen. Nach dem allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatz hat die Erfüllung und Durchführung von Verträgen nach der Übung des redlichen Verkehrs, das heißt nach Treu und Glauben, zu erfolgen. Die Anforderungen von Treu und Glauben sind vor allem jenen gegenüber zu beachten, zu denen man in konkreten Rechtsbeziehungen steht. Diese besondere Treuepflicht geht so weit, dass unter Umständen sogar die tätige Wahrnehmung der Interessen des anderen Teiles geboten ist[22]; dazu zählt nach der Rechtsprechung des OGH mitunter auch, dass – wenn die Umstände dies erfordern – eine Verpflichtung zur Vertragsänderung oder Vertragsergänzung besteht[23]. Dieses Verständnis fügt sich nahtlos in das Ergebnis des OGH zu 1 Ob 200/08f ein. Voraussetzung für eine Vergütung der Forcierung ist nach dem OGH, eine vertragliche Vereinbarung mit dem AG und daher kann der AN, weil er nach Ansicht des OGH sonst keinen Vergütungsanspruch hätte, ohne eine vorherige Vereinbarung dazu auch nicht verpflichtet sein. Es ist hier allerdings sogleich zu ergänzen, dass der OGH dem AN zwar ein Entgelt für die Forcierungsmaßnahmen zusprach, jedoch wurde dem AN ein Entgelt für die (fiktiv) zu ermittelnde Bauzeitverlängerung, zu der es ohne Forcierung gekommen wäre, schon vom Erstgericht rechtskräftig zuerkannt.
Quellen:
[1] Das ist kein Schadenersatzanspruch, sondern ein vertraglicher Entgeltanspruch und eine parallele Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs ist ausgeschlossen (OGH 1 Ob 268/03y; M. Bydlinski in KBB³ § 1168 Rz 2).
[2] OGH 10 Ob 205/01x; 2 Ob 248/05t mwN; M. Bydlinski in KBB³ § 1168 ABGB Rz 7.
[3] OGH 2 Ob 301/05m.
[4] OGH 6 Ob 274/04v.
[5] OGH 6 Ob 177/10p, 205; ferner 1 Ob 58/98f; 8 Ob 156/06h; 6 Ob 95/08a – je zur Pönale.
[6] § 1168 ABGB ist dispositives Recht; das heißt, die Vertragsparteien können davon Abweichendes vereinbaren (OGH 1 Ob 259/04a; 1 Ob 200/08f).
[7] Oberndorfer/Jodl, Handwörterbuch der Bauwirtschaft³ 101.
[8] Schachinger, Die Bauverzögerung 59 f.
[9] Reckerzügel/Schwarz in Oberndorfer/Straube, Kommentar zur ÖNORM B 2110³, 272.
[10] Gölles, Mehrkostenforderungen beim Bauvertrag, ZVB 2010, 78 (81).
[11] Kropik, Der Bauvertrag und die ÖNORM B 2110², 275.
[12] Friedl, Anmerkung zu 1 Ob 200/08f ecolex 2009/76, 228 (229); Karasek, ÖNORM B 2110² Rz 1074; Stowasser/Geschweitl, Bauvertrag und Forcierung, ZVB 2010, 256 (259).
[13] Friedl, Anmerkung zu 1 Ob 200/08f ecolex 2009/76, 228 (229); Karasek, ÖNORM B 2110² Rz 1074; Gölles, Mehrkostenforderungen, ZVB 2010, 78 (81).
[14] Bauvertrag und Forcierung, ZVB 2010, 256 (258 f).
[15] Davon geht offenbar auch Kropik, ÖNORM B 2110, 243 aus (organisatorische Maßnahmen als Bestandteil des Bau-Soll).
[16] So damit nicht die Jahres- oder Tageszeit angesprochen wird.
[17] Friedl, Anmerkung zu 1 Ob 200/08f ecolex 2009/76, 228; diesem folgend Karasek, ÖNORM B 2110² Rz 1237; ganz idS die hA in Deutschland zur Parallelbestimmung des § 315 dt BGB und § 1 Nr 3 (Planänderung) und Nr 4 (Ausführung nicht vereinbarter Leistungen) der VOB/B (BGH VII ZR 233/94 NJW 1996, 1346; VII ZR 346/01 NZBau 2004, 207).
[18] Den Gläubiger (den AG) trifft vorbehaltlich einer vereinbarten Abnahmepflicht ohnedies keine Verpflichtung zur Abnahme; ihn treffen bloß die widrigen Folgen des Annahmeverzugs; er trägt insbesondere die Gefahr von zufälligen Verschlechterungen der Leistung (näher Koziol in KBB³ § 1419 Rz 2 ff).
[19] So etwa A. Tomic, Recht des Auftraggebers auf Bauzeitänderung, ZfBR 2010, 315 (319).
[20] Vgl dazu Kuffer in Heiermann/Riedl/Rusam, Handkommentar VOB11 B § 1
Rdn. 106; Vygen/Schubert/Lang, Bauverzögerung und Leistungsänderung5, 139; Leimböck/Klaus/Hölkermann, Baukalkulation und Projektkontrolling 89.
[21] Darauf läuft im Ergebnis auch die Argumentation von Kuffer (Fn 20) hinaus (abgeleitet aus § 271 BGB und – wie zu ergänzen ist – aus § 242 BGB [Erfüllung nach Treu und Glauben]).
[22] Ständige Rechtsprechung des OGH RIS-Justiz RS0013395.
[23] Siehe etwa 1 Ob 508/76 ÖJZ 1976/224, 466; 1 Ob 716/86; in 5 Ob 82/03z bejahte der OGH sogar eine Verpflichtung zur Annahme einer Schenkung unter Miteigentümern.