Haftungsrücklass

© Martin Kozcy

Die Sicherstellung des Auftraggebers im Rahmen von (Bau-)Werkverträgen, insbesondere das Thema „Haftungsrücklass“ ist angesichts der steigenden Insolvenzrisiken in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise ein Dauerbrenner – Grund genug, sich damit näher zu befassen.

(Bau-)Werkverträge, die einem so in der Praxis unterkommen, kennen oft eine Vielzahl von Sicherstellungen zugunsten des Auftraggebers. Vertragserfüllungsgarantie, Gewährleistungsgarantie, Deckungsrücklass und Zurückbehaltungsrechte des Auftraggebers sind oft mit unangenehmen Einschnitten für die Werklohnforderung des Auftragnehmers verbunden. Als geradezu selbstverständlich findet sich heutzutage der Haftungsrücklass in so gut wie jedem (Bau-)Werkvertrag, obwohl er im allgemeinen Werkvertragsrecht des ABGB gar keine gesetzliche Grundlage hat.

Grundsätzliches

Nach dem allgemeinen Werkvertragsrecht ist der Werklohn grundsätzlich erst nach Vollendung des Werkes zu bezahlen (§ 1170 ABGB), sofern nichts Anderes vereinbart ist. Auch § 1052 ABGB gibt dem Auftraggeber das Recht, die Bezahlung des Werklohns zu verweigern, wenn und solange der Auftragnehmer das Werk noch nicht vertragsgemäß hergestellt hat. Ist nichts Gegenteiliges vereinbart, kann der Auftraggeber den Werklohn aus diesen Gründen zur Gänze zurückbehalten.

In der Praxis geht man von dieser Regel allerdings aus wirtschaftlichen Gründen oft ab und vereinbart z.B. die Vorauszahlung des Werklohns, die Teilzahlung nach Baufortschritt etc., was alternative Sicherstellungsformen erforderlich macht. Dennoch ist der Auftraggeber nicht davor gefeit, dass Mängel am Werk bei Übergabe unbemerkt bleiben und der gesamte Werklohn an den Auftragnehmer fließt, obwohl das Werk „versteckt“ mangelhaft ist und der Mangel erst später hervorkommt.

Was ist der Haftungsrücklass?

Der Haftungsrücklass verschafft dem Auftraggeber dafür zumindest teilweise Abhilfe. Dieser ermöglicht eine Sicherstellung des Auftraggebers vor Mängeln, die bei Übergabe des bestellten Werks zwar schon vorhanden, aber noch nicht erkennbar waren. Der Haftrücklass dient generell der Sicherstellung von Gewähr­leistungs- und Schadenersatzansprüchen des Auftraggebers gegen den Auftragnehmer. Er verschafft dem Auftraggeber das Recht, den Werklohn des Auftragnehmers

  • bis zu einem bestimmten Teil,
  • zeitlich befristet über die Fälligkeit der jeweiligen Werklohnrechnung hinaus,
  • ohne Gewährleistungs- oder Schadenersatzansprüche behaupten und beweisen zu müssen,

zurückzuhalten und sich aus diesem Einbehalt gegebenenfalls für seine Ansprüche gegen den Auftragnehmer aus Gewährleistung und Schadenersatz schadlos zu halten.

Bitte beachten Sie: Die Vereinbarung eines Haftungsrücklasses ist kein Verzicht auf das oben beschriebene Leistungsverweigerungsrecht. Der Haftungsrücklass dient auch nicht der Verstärkung von Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüchen. Der Zweck des Haftungsrücklasses besteht allein darin, das wirtschaftliche Risiko des Auftraggebers für den Fall abzuschwächen, dass der Auftragnehmer seine Gewährleistungs- und Schadenersatzpflichten nicht erfüllt.

Wann gilt ein Haftungsrücklass?

Ein Haftungsrücklass kommt grundsätzlich nur zur Anwendung, wenn er vertraglich vereinbart ist. Dies ist auch dann der Fall, wenn dem jeweiligen Werkvertrag entsprechende Werkvertrags-ÖNORMEN (z.B. ÖNORMEN A2050, A2060, B2110 u.a.) zugrunde liegen. Diese ÖNORMEN berechtigen den Auftraggeber häufig zu einem Haftungsrücklass. Ist ein Haftungsrücklass erwünscht, sollte dieser im jeweiligen (Bau-)Werkvertrag daher ausdrücklich vereinbart werden.

Obligatorisch ist ein Haftungsrücklass nur bei Anwendbarkeit des Bauträgervertragsgesetzes (BTVG), also im Wesentlichen dann wenn ein Vertrag die Einräumung von (Wohnungs-)Eigentum oder von Bau-, Bestand- oder sonstigen Nutzungsrechten an noch zu errichtenden oder durchgreifend zu erneuernden Gebäuden, Wohnungen oder Geschäftsräumen zum Gegenstand hat.

Höhe des Haftungsrücklasses

Grundsätzlich ist die Höhe des Haftungsrücklasses frei vereinbar. Die Werkvertrags-ÖNORMEN regeln, dass der Haftungsrücklass 2% der jeweiligen Schlussrechnungssumme nicht übersteigen sollte. Unter Schlussrechnungssumme wird der Gesamtpreis zuzüglich der Umsatzsteuer verstanden. Berechnungsgrundlage des Haftrücklasses ist daher nicht der Netto-, sondern der Bruttopreis. Das BTVG (§ 4 Abs. 4) legt fest, dass der Haftungsrücklass zumindest 2% des Preises betragen muss. Die einvernehmliche Festlegung eines höheren Haftungsrücklasses ist dadurch freilich nicht ausgeschlossen. So finden sich in den Vergabebedingungen von Ausschreibungen der öffentlichen Hand oft Haftungsrücklasse, die 5% der Schlussrechnungssumme oder mehr betragen.

Dauer des Haftungsrücklasses

Wie lange der Auftraggeber berechtigt ist, den Haftungsrücklass einzubehalten, richtet sich grundsätzlich auch nach der dazu getroffenen Vereinbarung. Als Sicherstellung für Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche wird sich die Dauer des Haftungsrücklasses naturgemäß an der gesetzlichen oder vertraglich vereinbarten Gewährleistungs- bzw. Haftungsdauer orientieren.

Üblicherweise ist der Haftungsrücklass nach Ablauf der Gewährleistungsdauer (bei Bauwerken drei Jahre ab Übernahme) an den Auftragnehmer auszuzahlen, sofern er zuvor nicht berechtigt in Anspruch genommen wurde. Auch das BTVG schlägt in diese Kerbe und legt zwingend fest, dass mit dem Haftungsrücklass eine Sicherstellung für die Dauer von drei Jahren ab der Übergabe einzuräumen ist. Nach den Werkvertrags-ÖNORMEN ist der Haftungsrücklass spätestens 30 Tage nach Ablauf der Gewährleistungsdauer zurückzustellen.

Ablöse des Haftungsrücklasses

Ein häufiger Irrglaube in der Baupraxis ist, dass man als Auftragnehmer jedenfalls berechtigt ist, den Haftungsrücklass als Bareinbehalt durch eine unbare Sicherstellung abzulösen. Dieses Ablöserecht steht nur dann zu, wenn es ausdrücklich vereinbart ist. Auch die Werkvertrags-ÖNORMEN sowie das BTVG räumen dem Auftragnehmer dieses Ablöserecht ein.

Ein Auftraggeber muss also eine vom Auftragnehmer angebotene Ablöse des Haftungsrücklasses nicht in jedem Fall akzeptieren. Immerhin ist dieser Schritt mit einer Schlechterstellung des Auftraggebers verbunden, zumal er dadurch in seinen Händen befindliche Barmittel freigibt und dafür eine unbare Sicherstellung von ungewisser Liquidität und Bonität erhält.

Besonderer Beliebtheit bei den unbaren Sicherstellungen erfreut sich die Bankgarantie, mit der sich ein Bankinstitut zeitlich befristet verpflichtet, auf erste Anforderung ohne Prüfung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses binnen kurzer Frist einen bestimmten Garantiebetrag an den Auftraggeber zu leisten („abstrakte Bankgarantie“).

Zu beachten ist dabei, dass eine Bankgarantie streng nach ihrem Wortlaut auszulegen ist. Deshalb sollte darin ausdrücklich erwähnt sein, dass sie Haftrücklassansprüche abdeckt, wenn sie als Ablöse für den Haftrücklass gedacht ist. Zudem sollte man eine Bedingung in den Garantietext aufnehmen, dass die Bankgarantie erst nach Rückzahlung des bar einbehaltenen Haftrücklasses wirksam wird.

In Zeiten der Bankenkrise bieten sich allerdings auch spezielle Versicherungsprodukte (z.B. Rücklassversicherung) als willkommene Sicherstellungsalternative an, weil sie den Kreditrahmen und damit die Liquidität des Auftragnehmers nicht belasten. Das BTVG lässt auch die Ablöse durch Garantien und Versicherungen von inländischen Gebietskörperschaften zu.

Ist der Auftragnehmer in einen potenten Konzern eingebettet, akzeptieren die Auftraggeber häufig auch abstrakte Garantien der Konzernmutter als Ablöse. Solche Konzerngarantien sind inhaltlich sehr unterschiedlich zu bewerten, weil diese oft keine echte Leistungsverpflichtung der Konzernmutter verkörpern. Häufig beinhalten Konzerngarantien nur vage Zusagen
der Konzernmutter, sich für eine bestimmte finanzielle Ausstattung des Auftragnehmers zu verwenden. Man sollte daher als Auftraggeber auf eine möglichst harte Konzerngarantie mit echter Leistungsverpflichtung bestehen.

Die zwecks Ablöse des Haftrücklasses beigestellte Sicherstellung unterliegt – mangels anderslautender Vereinbarung – denselben Bestimmungen wie der Haftrücklass. So ist eine Bankgarantie z.B. nach Ablauf der Gewährleistungsfrist an den Auftragnehmer oder dessen Bankinstitut zurückzustellen, sofern sie zuvor nicht berechtigt in Anspruch genommen wurde.

Inanspruchnahme des Haftungsrücklasses

Der Auftraggeber hat das Recht, sich gegebenenfalls aus dem Haftungsrücklass für seine Ansprüche gegen den Auftragnehmer aus Gewährleistung und Schadenersatz schadlos zu halten. Die berechtigte Inanspruchnahme des Haftungsrücklasses setzt voraus, dass ein Mangel oder Schaden vorliegt, für den der Auftragnehmer auch tatsächlich einzustehen hat.

Bekanntlich hat der Auftraggeber im Prozessfall zu behaupten und zu beweisen, dass ein Mangel oder Schaden vorliegt und dieser Mangel bzw. Schaden dem Werk des Auftragnehmers zuzuordnen ist.

Ein vereinbarter Haftungsrücklass ändert an dieser Behauptungs- und Beweislast des Auftraggebers nichts. Der Haftungsrücklass dient also nicht dazu, dem Auftraggeber die Zuordnung von Gewährleistung und Haftung zu erleichtern und die Beweislast dem Auftragnehmer zuzuschieben. Vielmehr hat der Haftungsrücklass den Zweck, die Erfüllung von bestehenden Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüchen des Auftraggebers sicherzustellen.

Die berechtigte Inanspruchnahme des Haftungsrücklasses erfordert zudem, dass

  • der Auftragnehmer seine Gewährleistungs- bzw. Schadenersatzpflichten nicht erfüllt und der Auftraggeber den Mangel bzw. Schaden auf Kosten des Auftragnehmers deswegen selbst beheben oder durch Dritte beheben lassen muss oder
  • die sofortige Behebung eines Mangels oder Schadens für den Auftraggeber zur Abwendung eines gewichtigen Nachteils dringend erforderlich und eine sofortige Behebung durch den Auftragnehmer nicht möglich ist.

Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, z.B. weil sich Auftraggeber grundlos weigert, die Verbesserung des behaupteten Mangels durch den Auftragnehmer zuzulassen, ist der Auftraggeber nicht berechtigt, den Haftrücklass zu ziehen.

Anders als eine Kaution ist der Haftungsrücklass nur eine Einmalsicherheit. Ist der Haftungsrücklass einmal gezogen, ist der Auftragnehmer mangels anderslautender Vereinbarung nicht verpflichtet, diesen wieder „aufzufüllen“. Reicht ein Haftungsrücklass nicht aus, um die Kosten einer Ersatzvornahme zu decken, hat der Auftragnehmer dem Auftraggeber allerdings die darüber hinausgehenden Kosten zu ersetzen.

Haftungsrücklass in der Insolvenz

Die Insolvenz des Auftragnehmers lässt das Recht des Auftraggebers, den Haftungsrücklass einzubehalten, grundsätzlich unberührt. Tritt der Insolvenzverwalter in den Werkvertrag ein, haftet er anstelle des Auftragnehmers für die Behebung allfälliger Mängel und Schäden. Der Auftraggeber hat daher unverändert das Recht, den Haftungsrücklass als Sicherstellung einzubehalten.

Für den Fall, dass der Insolvenzverwalter von seinem gesetzlichen Rücktrittsrecht (§ 21 vormals KO, nunmehr IO) Gebrauch macht, so ist die Rechtsprechung bislang widersprüchlich, was mit dem Haftungsrücklass geschieht. Gemäß § 21 IO kann der Auftraggeber nämlich den Ersatz des Schadens verlangen, den der Insolvenzverwalter durch seinen Rücktritt verursacht hat.

Nach einer höchstgerichtlichen Entscheidung aus dem Jahr 1981 ist der Auftraggeber bei Rücktritt des Insolvenzverwalters zum Einbehalt des Haftungsrücklasses nur berechtigt, wenn der Haftungsrücklass ausdrücklich sowohl der Sicherstellung für die Erfüllung der Vertragsverbindlichkeiten als auch der Sicherung von Ansprüchen gemäß § 21 IO dient. Deshalb findet sich in den (Bau-)Werkverträgen sowie in den Haftrücklassgarantien häufig die ausdrückliche Erklärung, dass durch den Haftungsrücklass auch allfällige Ansprüche gemäß § 21 IO gesichert sind.

Dem widerspricht allerdings eine höchstgerichtliche Entscheidung aus dem Jahr 1991, wonach der Auftraggeber immer berechtigt ist, den Haftungsrücklass in Anspruch zu nehmen, wenn der insolvente Auftragnehmer ein mangelhaftes Werk abliefert, der Insolvenzverwalter vom Werkvertrag zurücktritt, die Verbesserung des Mangels infolgedessen unterbleibt und dem Auftraggeber dadurch Kosten für die Ersatzvornahme der Mängelverbesserung entstehen.

Man sollte sich darauf jedoch nicht verlassen und sicherheitshalber sowohl in den vertraglichen Bestimmungen zum Haftungsrücklass als auch im Text einer Haftrücklassgarantie immer darauf achten, dass der Haftungsrücklass bzw. die Haftrücklassgarantie ausdrücklich auch der Sicherung von Ansprüche gemäß § 21 IO dient.

Zum Schluss

Die obigen Ausführungen sollen lediglich Ihr Problembewusstsein zum Thema „Haftungsrücklass“ schärfen. Wie ein Haftungsrücklass im Hinblick auf einen konkreten (Bau-)Werkvertrag im Einzelfall zu beurteilen und zu handhaben ist, hängt von der Auslegung des jeweiligen (Bau-)Werkvertrages ab. Diese Ausführungen können daher eine konkrete Prüfung des jeweiligen (Bau-)Werkvertrages  und eine auf den Einzelfall bezogene Beratung durch den Rechtsanwalt Ihres Vertrauens nicht ersetzen.

Matthias Nödl