Betreutes und betreubares Wohnen- Welche Wohnräume brauchen ältere Menschen?

© Martin Koczy

Der Anteil der älteren Menschen an der Bevölkerung steigt enorm. Immer mehr werden barrierefrei gestaltete Wohnräume und spezielle Services und Dienstleistungen nachgefragt. So unterschiedlich die Wohnbedürfnisse der Senioren sind, eins ist sicher, die Mehrheit will so lange wie möglich in den „eigenen vier Wänden“ leben. Während die klassischen Alten- und Pflegeheime für ältere Menschen mit einer Pflegestufe geeignet sind, die eine rund um die Uhr medizinische und pflegerische Betreuung erfordern, haben sich für die selbstbestimmte Lebensweise älterer Menschen verschiedene Wohnformen herausgebildet.

Betreutes und betreubares Wohnen, was ist das?

Am Markt werden Wohnungen mit Betreuungsleistungen für ältere Menschen als Betreutes oder Betreubares Wohnen, Wohnen mit Concierge, Mehrgenerationenwohnen, Seniorenresidenzen, Seniorenwohngemeinschaften uvm angeboten. Betreutes oder betreubares Wohnen ist in den Förderungsvorschriften der meisten Bundesländer grundsätzlich verankert, allerdings fehlen konkrete Definitionen über Bezeichnung und Inhalte der jeweiligen Konzepte, sodass dies zur Verunsicherung und zu falschen Erwartungen der Konsumenten führt.

Betreutes Wohnen – ÖNORM CEN/TS 6118

Seit 01.05.2012 gilt in Österreich die ÖNORM CEN/TS 16118 „Betreutes Wohnen – Anforderungen an Dienstleistungen für ältere Menschen im Rahmen der Wohnform Betreutes Wohnen“. Sie soll die Qualitätsmaßstäbe für Betreutes Wohnen europaweit vereinheitlichen und gibt Planern, Entwicklern, Bauträgern, Investoren, Wohnungs- und Immobilienunternehmern sowie ihren Beratern wertvolle Hinweise für die wirtschaftlich nachhaltige Gestaltung und ein zielorientiertes Vorgehen bei der Entwicklung, Realisierung und dem Betrieb von Wohnräumen mit Betreuungsleistungen für ältere Menschen.

Die Immobilie ist die Grundlage für das Betreute Wohnen. Der Standort soll die Voraussetzung sowohl für eine selbständige Lebensführung als auch für eine Integration in das Gemeinwesen bieten. Einkaufs- und Gesundheitseinrichtungen sollen leicht erreichbar sein. Die Immobilie, dh die Wohnanlage, die Wohnung selbst, Zugänge, Außenanlagen, Allgemeinbereiche, Stellplätze etc sind stufen- und schwellenfrei auszugestalten. Für die bauliche Ausführung sind vier Grundregeln zu beachten: 1. schwellenfreier Hauseingang und schwellenfreie Erreichbarkeit des Aufzugs; 2. Einbau eines Aufzugs; 3. Bad mit einem schwellenfrei ausgebildeten Duschbereich; 4. Schwellenfreier Übergang von Wohn- zum Freibereich (Terrasse/Balkon/Garten).

Betreutes Wohnen bietet somit eine barrierefreie Wohnung innerhalb einer für ältere Menschen betreuten Wohnanlage, bei der als Dienstleistungen Grund- und Wahlleistungen erbracht werden. Anforderungen an die Wohnung (zB stufenfreie Dusche), an das Gebäude (zB Gemeinschaftsraum) und an den Standort (zB Erreichbarkeit von Einkaufs- und Gesundheitseinrichtungen) sind zu erfüllen. Als Grundleistungen ist ein Mindestdienstleistungsangebot sicherzustellen, wie das Vorhandensein eines Ansprechpartners vor Ort, der die Bewohner berät, informiert und Kontakte herstellt. Zudem muss ein Notrufsystem zur Verfügung stehen. Wahlleistungen sind alle anderen Leistungen, die freiwillig und individuell gegen direkte Bezahlung in Anspruch genommen werden können, wie Hilfen im Haushalt, Mahlzeitservice, Besuchs- und Begleitdienste, Fahrservice und ambulante Pflegeleistungen. Ein Träger (zB Gemeinde, Privatunternehmen, Wohltätigkeitsorganisation oder Eigentümergemeinschaft) hat die Verantwortung, dass die Anforderungen erfüllt und die entsprechenden Leistungen erbracht werden.

Betreutes Wohnen wird grundsätzlich rechtlich durch drei Verträge gesichert. Der wohnungsbezogene Vertrag verschafft das Nutzungsrecht an der Wohnung (zB Miete), ein Dienstleistungsvertrag sichert die Grundleistungen für die Bewohner sowie ein Notrufsystem und ein Kooperationsvertrag gewährleistet die Erbringung von Wahlleistungen je nach Bedarf der jeweiligen Bewohner gegen direkte Bezahlung. Dzt wird betreutes Wohnen nur im Mietmodell angeboten. Im Wohnungseigentum sind betreute Wohnungen erst zu entwickeln und bedürfen einer komplexeren Vertragsgestaltung.

Betreubares Wohnen

Betreubares Wohnen ist rechtlich nicht definiert. Es kann als Schaffung einer Wohnung in einer Anlage verstanden werden, die baulich und von Umfeld alle Voraussetzungen erfüllt, dass mit den von den Wohnungsnutzern selbst beizuziehenden Dienstleistern betreutes Wohnen im Sinne der obigen ÖNORM möglich ist. Die erste Sicherstellung der Grundleistungen sollte durch Kooperationsvertrag mit einem geeigneten Dienstleister erfolgen.

Barrierefreier Wohnraum

Alle neun Länderbauvorschriften enthalten Bestimmungen über die barrierefreie Gestaltung von Bauwerken. Die Unterschiede zur Barrierefreiheit sind in einzelnen Bundesländern zum Teil erheblich. Dies betrifft beispielsweise die Anwendungsbereiche. Um mehr Einheitlichkeit in den Bauvorschriften zu schaffen, wurden vom Österreichischen Institut für Bautechnik (OIB) im Zuge eines Harmonisierungskonzeptes sechs Richtlinien entwickelt. Grundlage für die Harmonisierung der österreichweiten Bauvorschriften in Hinblick auf Barrierefreiheit ist die OIB Richtlinie 4 „Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit“. Die technischen Detailbestimmungen für barrierefreies Bauen finden sich in der ÖNORM B 1600 „Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen“. Jene Punkte dieser Norm, auf die innerhalb der OIB Richtlinie 4 verwiesen wird, sind somit baurechtlich verbindlich. Mit 1. Juni 2013 ist diese in den Bauvorschriften aller Bundesländer außer Niederösterreich und Salzburg verbindlich verankert, wobei teilweise innerhalb der Bauvorschriften wiederum individuelle Abweichungen in einzelnen Bestimmungen definiert sind. Barrierefreiheit heißt aber im wesentlichen Barrierefreiheit der allgemeinen Teile einer Anlage und barrierefreie Erreichbarkeit der Geschoße. Für die Gestaltung der Wohnungen selbst sind keine oder nur Mindestkriterien der Barrierefreiheit vorgegeben, sodass von einem barrierefreien Wohnraum nicht gesprochen werden kann. Betreutes oder Betreubares Wohnen erfordert daher mehr als das Einhalten der geltenden Bauvorschriften.

AAL – Ambient Assisted Living

Betreute Anlagen können vielfältige Zusatzleistungen für ältere Menschen anbieten. An Bedeutung gewinnen dabei technische Assistenzsysteme wie zB Sensoren, die bei Sturz einen Alarm auslösen, Telemonitoring-Systeme, bei denen Werte (z.B. Glukose, Blutdruck) von speicher- und kommunikationsfähigen Messgeräten bzw. Sensoren erfasst und verarbeitet werden, Displays mit Zusatzinformationen und Hilfestellungen sowie Störungsanzeige, Automatik-Programme von Haushaltsgeräten (Waschautomat, Geschirrspüler, Trockner, Herd, Backofen), Touch-Bedienfelder für Personen mit motorischen Einschränkungen.

Fazit

Die Schaffung von leistbaren Wohnungen, die den Bedürfnissen älterer Menschen mit Betreuungsbedarf gerecht werden, ist eine Herausforderung an den Wohnbau. Die Vertragsgestaltung muss transparent und klar sein. Sie muss eine konkrete Leistungsbeschreibung und eindeutige Zuordnung enthalten. Für die Nutzer muss leicht nachvollziehbar sein, welche Leistungen mit der Wohnung zur Verfügung gestellt werden und welche von ihnen je nach Bedarf auf eigene Kosten zugekauft werden müssen. Die Dienstleistungen, die ältere Menschen für ihre selbstbestimmte Lebensweise zur Unterstützung benötigen, müssen rechtlich sichergestellt sein.

 

Quellen
  • ÖNORM CEN/TS 16118 Betreutes Wohnen – Anforderungen an Dienstleistungen für ältere Menschen im Rahmen der Wohnform Betreutes Wohnen
  • OIB Richtlinie 4 Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit
  • ÖNORM B 1600 Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen
  • Wohnbau Barrierefrei, Bautechnische Analyse und Wohnbauförderung unter dem Aspekt der Barrierefreiheit, Doris Ossberger
Manuela Maurer-Kollenz