Bieter im Vergabeverfahren treffen sogenannte vorvertragliche Prüf- und Warnpflichten, für deren Verletzung er dem Auftraggeber („AG“) gegenüber ersatzpflichtig werden kann.
Einleitung
Bieter im Vergabeverfahren treffen sogenannte vorvertragliche Prüf- und Warnpflichten, für deren Verletzung er dem Auftraggeber („AG“) gegenüber ersatzpflichtig werden kann: Gemäß § 108 Abs 2 BVergG erklärt der Bieter mit der Abgabe des Angebots, dass er die Bestimmungen der Ausschreibungsunterlagen kennt, dass er über die erforderlichen Befugnisse zur Ausführung des Auftrages verfügt, dass er die ausgeschriebene Leistung zu diesen Bestimmungen und den von ihm angegebenen Preisen erbringt, und dass er sich bis zum Ablauf der Zuschlagsfrist an sein Angebot bindet. Vielfach wird diese gesetzliche Bestimmung in Ausschreibungsunterlagen insoweit erweitert, als Bieter erklären, dass für sie die Ausschreibung unmissverständlich ist und für sie keine offenen Fragen bestehen. Bietern wird dadurch eine erhöhte vorvertragliche Prüf- und Warnpflicht bezüglich der Ausschreibungsunterlagen überbunden.
Demgegenüber steht die Verpflichtung des AG, gemäß § 58 Abs 2 BVergG zusätzliche Auskünfte über die Ausschreibungsunterlagen, zusätzliche Unterlagen oder über die Beschreibung im wettbewerblichen Dialog unverzüglich zu erteilen. Auskünfte sind bis spätestens sechs Tage vor Ablauf der Frist für den Eingang der Angebote zu erteilen. Lediglich beim nicht offenen Verfahren oder beim beschleunigten Verhandlungsverfahren ist die Auskunft bis spätestens vier Tage vor Ablauf der Frist für den Eingang der Angebote zu erteilen.
Daher lässt sich aus § 58 Abs 2 BVergG das Recht der Bieter ableiten, Bieterfragen an den AG zu stellen. Bei Bieterfragen handelt es sich somit um das Recht des Bieters, im Rahmen eines Vergabeverfahrens nach dem Versand der Vergabeunterlagen ergänzende Informationen vom AG zu verlangen, wenn die Ausschreibungsunterlagen aufklärungsbedürftig sind.
Bieterfragen stellen in der Phase der Angebotslegung ein wichtiges Instrument des „Claim-Managements“ dar. Einerseits dokumentieren Bieter ihre Sorgfalt bei der Erstellung des Angebotes. Andererseits kann mittels Bieterfragen auf die Ausschreibung eingewirkt werden. Insbesondere bei Ausschreibungen, die den Grundsätzen des BVergG widersprechen (wenn zB unkalkulierbare Risiken auf Bieter überwälzt werden), empfiehlt es sich daher, Bieterfragen zu stellen. Ein weiterer Vorteil liegt allenfalls in der Aufklärung der Mitbewerber über auszupreisende Risiken in der Ausschreibung.
2. Wie werden Bieterfragen richtig gestellt?
2.1. Form
Das BVergG sieht keine Formerfordernisse für die Stellung von Bieterfragen vor. Es genügt ein einfaches Email, mit dem der AG um Aufklärung ersucht wird. Allerdings wird in der Praxis vielfach in den Ausschreibungsunterlagen eine bestimmte Form vorgeschrieben. Diese Form sollte von Bietern eingehalten werden. Grundsätzlich können Bieterfragen auch telefonisch gestellt werden. Es empfiehlt sich allerdings aus Dokumentationsgründen sowohl für Bieter als auch für AG, die Bieterfragen schriftlich zu stellen bzw Auskünfte schriftlich zu erteilen.
Wichtig ist, dass Bieterfragen sachlich formuliert werden und wenn notwendig auch klar zum Ausdruck gebracht wird, dass die Ausschreibung bekämpft wird, wenn der AG die Ausschreibung nicht berichtigt. So kann mit der Bieterfrage Druck auf den AG ausgeübt werden. Die Praxis zeigt, dass AG in vielen Fällen das Risiko einer Ausschreibungsbekämpfung und damit verbunden eine Verschiebung des Baubeginns nicht in Kauf nehmen und die Ausschreibung ändern und/oder ergänzen. Damit ist oft dieVerlängerung der Angebotsfrist verbunden.
2.2. Beispiele für Bieterfragen
Beispiel 1:
In der Ausschreibung wird festgehalten, dass Arbeiten in mehreren Bauetappen abzuwickeln sind, die sich untereinander verschieben können. Laut Ausschreibung berechtigt dies nicht zu Geltendmachung von Mehrkosten oder Verlängerung der Leistungsfrist. In der Ausschreibung fehlen detaillierte Angaben zu den Bauetappen und zum Ausmaß der möglichen Verschiebung.
Bieterfrage:
„Laut der Bestimmung xy der Ausschreibung sind Arbeiten in mehreren Bauetappen abzuwickeln, die sich untereinander verschieben können, was nicht zur Geltendmachung von Mehrkosten oder Verlängerung der Leistungsfrist berechtigt. Durch diese Bestimmung wird den Bietern aus unserer Sicht ein nicht kalkulierbares Risiko überwälzt. Ohne detaillierte Angaben zu den Bauetappen und zum Ausmaß der möglichen Verschiebung kann kein Angebot ohne Übernahme nicht kalkulierbarer Risiken gelegt werden, was gegen § 79 Abs 3 BVergG verstößt. § 79 Abs 3 BVergG sieht vor, dass die Ausschreibungsunterlagen so auszuarbeiten sind, dass die Vergleichbarkeit der Angebote sichergestellt ist und die Preise ohne Übernahme nicht kalkulierbarer Risiken und ohne umfangreiche Vorarbeiten von Bietern ermittelt werden können. Im konkreten Fall wird durch diese Bestimmungen ein nicht kalkulierbares Risiko auf die AN überwälzt. Wir ersuchen um detaillierte Angaben zu den Bauetappen, sowie zum Ausmaß der möglichen Verschiebungen“.
Beispiel 2:
In Punkt xy der Ausschreibung wird festgehalten, dass bei einer Veränderung der Ausführungstermine, auch wenn diese nicht auf Umstände aus der Sphäre der Bieter zurückzuführen ist, die zur Einhaltung der vorgegebenen Ausführungstermine entstehenden Mehrkosten in die Einheitspreise einzukalkulieren sind.
Bieterfrage:
„Diese Bestimmung weicht von den einschlägigen Regelungen der ÖNORM B 2110 unzulässig ab. Mangels Kenntnis, wie viel sich die Ausführungstermine verschieben, wird durch diese Bestimmung ein nicht kalkulierbares Risiko auf Bieter in vergaberechtswidriger Weise überwälzt. Wir ersuchen um Bekanntgabe, wie wir diese Position kalkulieren sollen, andernfalls wir gezwungen sind, die Ausschreibung zu bekämpfen“.
Beispiel 3:
Der AG schreibt eine Pauschalposition für die Herstellung eines Fußbodens aus. In der Ausschreibung wird allerdings nicht näher spezifiziert, welcher Fußboden einzubauen ist. Für Bieter ist daher nicht klar, wie diese Position zu kalkulieren ist.
Bieterfrage:
„In der Ausschreibung wird unter der Position xy eine Pauschale für die Herstellung eines Fußbodens ausgeschrieben. Der AG ist entsprechend dem BVergG zu einer vollständigen und umfassenden Leistungsbeschreibung verpflichtet. Auf Grund der vorliegenden Leistungsbeschreibung ist nicht klar, welcher Fußboden letztendlich eingebaut wird und zu kalkulieren ist. Wir ersuchen um Aufklärung, welcher Fußboden eingebaut werden soll“.
2.3. Wie reagieren AG richtig auf Bieterfragen?
Grundsätzlich ist der AG verpflichtet, Auskunftsverlangen nachzukommen und zutreffende Antworten zu erteilen. Beinhalten bereits die Vergabeunterlagen die Antwort auf die Bieterfrage, kann sich die Auskunft mit dem Hinweis
auf die entsprechende Stelle in den Vergabeunterlagen begnügen. Wenn die Auskünfte über den Inhalt der Vergabeunterlagen hinausgehen, so ist die Auskunft allen Bietern mitzuteilen. In diesem Fall sollte auch die Frage des Bieters wiederholt werden, wobei diese zu anonymisieren ist, sodass den anderen Bewerbern ein Rückschluss auf die Identität des anfragenden Bieters nicht möglich ist.
Praxistipp:
Der AG ist gut beraten, missverständliche Formulierungen zu berichtigen sowie Lücken in der Leistungsbeschreibung zu präzisieren. Bieterfragen sollten von AG nicht als ein lästiges Instrument von Bietern angesehen werden, sondern als Chance, eine dem BVergG entsprechende Ausschreibung zu erstellen. Wenn die Ausschreibung zu berichtigen ist, so muss die Mitteilung über die Änderung oder Ergänzung der Ausschreibung vor Ablauf der Angebotsfrist gleichzeitig an alle Bieter gerichtet werden und die Angebotsfrist erforderlichenfalls verlängert werden. Um zu gewährleisten, dass genügend Zeit vor Ablauf der Angebotsfrist zur allfälligen Ergänzung/Änderung der Ausschreibung besteht, empfiehlt es sich, in der Ausschreibung festzulegen, zu welchem Zeitpunkt Bieterfragen angenommen und beantwortet werden.
3. Fazit
Bieterfragen stellen eine gute Möglichkeit für Bieter dar, sich Klarheit über die Vorstellungen und Forderungen des AG zu verschaffen, wenn sich diese Informationen nicht eindeutig aus der Ausschreibung ergeben. Bieterfragen sind daher ein probates Mittel, den AG auf scheinbare oder tatsächliche auslegungsbedürftige Regelungen oder Lücken hinzuweisen. Öffentliche AG sind gut beraten, Bieterfragen ernst zu nehmen, um damit einer allfälligen Bekämpfung der Ausschreibung zu vermeiden. Die ernsthafte Behandlung von Bieterfragen verhindert auch, dass Angebote mit unerwünschten hohen Preisen abgegeben werden.